Zeitenspiegel Reportagen

Laudatio auf den Preisträger Kermani

04.05.2016

Zur Verleihung des Hansel-Mieth-Preises 2016 an Navid Kermani hielt die frühere Stuttgarter Sozialbürgermeisterin Gabriele Müller-Trimbusch Anfang Mai in Fellbach die Laudatio. Hier der Wortlaut der Rede:

“Angesichts der enormen Strahlkraft, der beeindruckenden Eloquenz und der extremen Wissenstiefe der heutigen Preisträger kann es eigentlich nur jedem und jeder noch so motivierten Laudatorin die Sprache verschlagen – und so bitte ich um Verständnis für meine eher schlichte Lobrede , die der wahrlich tief empfundenen Ehrfurcht den diesjährigen Preisträgern gegenüber geschuldet ist . So ist der nun folgende Exkurs auch als Beispiel für die hier in unsere Region übliche Untertreibung und der damit einhergehende Achtung zu sehen! Man nennt das auch „schwäbisches Understatement“ auf Neu-Deutsch.

Navid Kermani wurde als 4. Sohn iranischer Eltern , die bereits vor seiner Geburt nach Deutschland einwanderten, 1967 in Siegen geboren , arbeitete schon als Schüler für die „WESTFÄLISCHE RUNDSCHAU“ und schrieb bereits während seines Studiums für überregionale Zeitungen.

Nach seinem Studium der Orientalistik, Philosophie und Theaterwissenschaft promovierte er 1998 mit einer Dissertation mit dem Titel: „Gott ist schön „ und 2006 folgte dann die Habilitation mit dem Titel „Der Schrecken Gottes – Attar, Hiob und die metaphysische Revolte“

  1. Neben seinen wiss. Arbeiten zur Koranästhetik und der islamischen Mystik , wie auch zahlreichen literarischen Arbeiten, war Navid Kermani auch als Reporter immer wieder unterwegs.

Und um diese eine besondere Reportage „ Einbruch der Wirklichkeit“ geht es heute Abend, deren Text Sie soeben von Eva Hosemann vorgetragen bekommen haben.

In geradezu archaischer Sprache, -schnörkellos, -wirkmächtig , -berührend und den Leser auf subtile Weise beschämend zugleich, erschafft er eine innere Spannung und damit eine persönliche Beteiligung der Leser/innen an seiner Reportage, die ihresgleichen sucht! Ja, seine Reportage ist heilsam verstörend und rührt jeweils an die Reflexion der eigenen Werte – und deckt dabei auf, dass diese gelegentlich verschüttet zu sein scheinen. Mit seinem Skalpell des Wortes seziert er präzise die Verantwortung jedes/jeder Einzelnen heraus – keiner kann sich entziehen - auch wenn er oder sie geografisch nicht direkt dabei ist. M.s.g.D.+H., Seine Reportage macht vor allem unumwunden deutlich, dass wir keine „Flüchtlingskrise“ haben, von der immer wieder gesprochen wird! Nein, wir haben eine Krise der politischen Institutionen gegenüber den Flüchtenden!

  1. Und ein weiteres: Navid Kermani lenkt unseren Blick auf die andere Seite der sog. „Flüchtlingskrise“ – die vermeintlich verbunden ist mit enormen finanziellen Belastungen, Integrationsproblemen und importierter Gewalt. Ja, einiges davon stimmt, aber schauen wir differenziert genug auch auf das Potential , die Talente und die menschlichen und interkulturellen Impulse , von denen wir nur profitieren können? Schnörkellos wird uns in dieser Reportage noch ein ganz anderer Konflikt vor Augen geführt: nämlich den zwischen unsere bestehenden Rechtsordnung und der beeindruckenden Barmherzigkeit der Zivilgesellschaft. Das sollte die Vertreter und Hüter der Rechtsordnungen nachdenklich machen und entsprechend zum Handeln anleiten!

So bildet Navid Kermani auch geistig eine Brücke zwischen der Generation, die noch direkt vom II. Weltkrieg betroffen waren n und mit ihrem „Nie wieder Krieg“ lange die politischen Parameter bestimmte und damit Flüchtlingen gegenüber eine andere Haltung entgegen brachten – und der Generation heute, die diese Erfahrung nur mittelbar - weit weg – und sie nicht direkt betreffend öfter auch als ignoranten Betrachter behandelt.

Navid Kermani appelliert auch an die uns, denen scheinbar die Fähigkeit zur ehrlichen Begegnung mit den betroffenen Menschen abhandengekommen ist – und ich sage bewusst „BEGEGNUNG“ - und meine damit nicht nur die friedliche Ko-Existenz!

  1. Immer wieder nimmt N.K. die menschliche Würde jedes/jeder Einzelnen in den Fokus als zentrale Richtschnur für eine persönliche Haltung und daraus resultierende politische Verantwortung.

Wer wie ich als damals zuständige Bürgermeisterin die vielen Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien Anfang der 90iger unterzubringen hatte , kann die Perspektive , die Sie ,sehr verehrter Herr Kermani, den Lesern eröffnen , ganz und gar teilen! Und noch eines : s.g. Herr Kermani ,Sie stiften uns an, über unser oft überbürokratisiertes , wohlsortiertes , wohlgeordnetes Weltbild nachzudenken – und bringen uns dazu, mehr Raum zu schaffen für mehr lebensnahen Pragmatismus im Umgang miteinander - mehr Weltoffenheit und darüber hinaus weniger nationale Egoismen ! Sie haben uns mit Ihrer Reportage tief bewegt und berührt , wofür Ihnen der Hansel-Mieth-Preis 2016 mit Fug und Recht gebührt! Herzlichen Glückwunsch – (und nun habe ich meine Sprache doch noch wieder gefunden!)

Der Hansel-Mieth-Preis Digital 2016 geht an Kim Wall, Coleen Jose und Jan Hendrik Hinze für ihre Multimedia-Reportage „EXODUS“ , in der es um die Entvölkerung der Marshall-Inseln geht, die einst für Atombomben-Tests der Amerikaner genutzt wurden und nun durch einen stetig steigenden Meeresspiegel bedroht sind . Kim Wall ist eine schwedische Multi-Media-Journalistin, die in N.Y. lebt .Ihre Arbeiten wurden bislang in der New York Times , 5. der Morning Post und vielen anderen herausragenden Publikationsorganen veröffentlicht. Kim Wall hat immer wieder den Klimawandel und seine Folgen für die Menschen thematisiert - vor allem aber die Atombombenversuche und die damit einhergehende Vertreibung der Menschen. Sie graduierte von der renommierten Columbia-University und promovierte im Fach Journalismus und Internationale Angelegenheiten. Sie ist weitgereist und immer wieder unterwegs als Kämpferin für die Menschen, die durch rein wirtschaftliche Interessen anderer um ihr Land und auch ihr Leben gebracht wurden.

Die Dokumentarfotografin Coleen Jose ist eine gebürtige Philippinin und ebenfalls besonders engagiert, den Klimawandel und seine Folgen zu dokumentieren. Sie veröffentliche u.a. in der „SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG“. Aber auch Themen zur Jugendarbeitslosigkeit und Umwelt- und Energiefragen haben sie intensiv beschäftigt und dazu geführt, entsprechende Foto- und Videodokumentationen zu erstellen. Vielfach prämiert und ausgezeichnet - die Liste ist sehr lang – ist Coleen Jose aber auch durch eigene Fotoausstellungen in renommierten Galerien weltweit bekannt geworden.

Jan Hendrik Hinze – der Dritte im Bunde des Hansel Mieth Preis Digital 2016 – ist ein „Stuttgarter Gewächs“ –wenn ich das so salopp formulieren darf!

  1. Nach seinem Studium der Politik- und Islamwissenschaften in Freiburg und Kairo hat er verschiedene Praktika u.a. bei der „STUTTGARTER ZEITUNG“ und dem „SWR“ wie auch an der Filmakademie Ludwigsburg absolviert. ZurZeit arbeitet er als Freier Journalist in N.Y. Auch er ist mehrfach preisgekrönt – und gewann u.a. den „GRIMME ONLINE AWARD“ In unserer digital vernetzten und so kommunizierenden Welt ist dieser Preis von zunehmender Wichtigkeit, unterstreicht er doch die Bedeutung - aber auch die Verantwortung - digitaler Informationsübermittlung. Ich gestehe – das auf Papier gedruckte Wort immer noch intensiver zu nutzen - habe aber längst verstanden, dass die Welt digital ist und immer digitaler wird.

So sind beide Preise – der Hansel Mieth Preis 2016 – und der Hansel-Mieth Preis Digital gleichbedeutend. Die Gemeinde der digital Natives wird weiter wachsen, daher ist die fundierte Auseinandersetzung mit dieser Kommunikationsform auch von wachsender Bedeutung. Und auch hier kann man der Jury nur zu Ihrer guten Entscheidung gratulieren – denn die verstörenden Bilder eines einstigen Idylls verfehlen ihre Wirkung bei niemandem – sie erinnern uns auf eindringliche Weise daran, in EINER Welt zu leben, für die wir in ihrer Gesamtheit Verantwortung tragen. Wie bei der Reportage von Navid Kermani können wir uns auch der unterlegten Botschaft dieser Bilder nicht entziehen!

  1. Dabei kann die digitale Reportage noch auf ein besonders eindrückliches Stilmittel zurückgreifen, nämlich die Betroffenen selber zu Wort kommen zu lassen und damit als unausweichliche und authentische Botschaft anzukommen. Das provoziert wahrlich echte Empörung bei den Nutzern!

Meine s.g.D.+H., gestatten Sie mir, mich nun kurz an die Preisträger ohne deutsche Sprachkenntnisse zu wenden:

ENGLISCH: I am convinced that the profound and very smart investigation in this form of communication is extensively growing and I definitely congratulate the Jury for their decision to award this year’s HANSEL-MIETH-PRIZE DIGITAL 2016 to you: Kim Wall, Coleen Jose and Jan Hendrik Hinze! The disturbing pictures of a long ago idyllic island do not fail their impetus on us and remind us at the same time intensively of being responsible for this atrocious development – not only at the Marshal-Islands! Thank you for opening our eyes, spirit and hearts!

  1. Bewegen – Verstören – aber daraus Verantwortung füreinander spüren und entwickeln - nicht zum Verharren im vermeintlich Unabänderlichen auffordern – das beabsichtigen die Preisträger des Hansel-Mieth-Preises 2016 und es ist Ihnen - - und da spreche ich sicherlich auch in Ihrer aller Namen - , m.s.g.D.+H., auf das Eindringlichste gelungen ! Dafür bedanke ich mich sehr! Und gratuliere auf das Herzlichste!

Danken möchte ich aber auch der Agentur und dem gesamten Team von ZEITENSPIEGEL-Reportagen aus dem Remstal, die uns wieder einmal vor Augen, Verstand und Herz führt, was Journalismus von höchster Qualität sein kann: nicht nur eine hochaktuelle Lehrstunde sondern eine Chance für die Weiterentwicklung unserer moralischen und menschlichen Verantwortung insgesamt der Welt und all‘ ihren Menschen gegenüber!

Herzlichen Glückwunsch allen Preisträgern !

Nun darf ich Sie, s.g. H.Kermani sowie die Preisträger des Hansel-Mieth-Preis Digital auf die Bühne bitten, damit Ihnen von der Agentur Zeitenspiegel Reportagen und dem OBM die Preise überreicht werden können!