Zeitenspiegel Reportagen

Was ist guter Journalismus? O-Töne zum Preis

06.05.2016

Was ist guter Journalismus? Das fragten wir Besucher der Preisfeier in Fellbach - rund 500 Zuschauer waren gekommen, um der Vergabe des Hansel-Mieth-Preises beizuwohnen. Hansel Mieth, Fotografin und frühere Fellbacherin, hatte einmal gesagt: Mitleid ist das erste Unrecht. Stimmt das? Sollen sich Reporter einmischen - und wenn ja, wie? Was wollen die Leute von heute lesen?

Hier einige Stimmen, dokumentiert von Zeitenspieglern, am Rande des Festakts:

Monika Ehrhardt, 66, aus Weinstadt: „Guter Journalismus greift aktuelle Themen auf und produziert und zeigt sie ohne großes Theater. Objektiv, nicht emotional. Ich habe nichts für Sensationsjournalismus übrig, das wäre für mich der Gegenpol des guten Journalismus. Die Reportagen, die ich hier sehe, sind für mich guter Journalismus. Sie treffen genau das, was ich in Zeitungen oder Zeitschriften lesen möchte. Ich war schon öfter bei der Hansel-Mieth-Preisverleihung, weil ich diese Veranstaltung sehr schätze, vor allem, weil man die Leute kennenlernen kann, die solche schönen Sachen schreiben.“

Camilla Wulf, 56, aus Winterbach: „Guter Journalismus ist für mich überparteilich, neutral, versucht, sich umfassend zu informieren, ist vielseitig und kritisch.“ „Man muss Mitleid im Sinne des Buddhismus und im Sinne von Luise Rinser verstehen: als Mitgefühl. Rinser hat Mitgefühl als Weg zum Frieden bezeichnet. Denn Mitleid bedeutet Parteinahme, aber auf zwei unterschiedlichen Ebenen, von oben herab. Mitgefühl dagegen heißt, sich in die Situation, in die Personen hineinzuversetzen und ihnen auf gleicher Ebene zu begegnen. Das halte ich für unbedingt notwendig als Journalist.

Michael Arlt, 45 Jahre, Stuttgart: „Guter Journalismus ist für mich kritisch und investigativ, deckt Missstände auf. Ich will nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen, sondern wünsche mir von Journalisten, gerade auch in der Lokalpresse, eine kritischere Beleuchtung: sei es bei der Begleitung von Projekten wie Stuttgart 21 oder politischen Entscheidungen auf Bundesebene. Guter Journalismus ist mutig und erweitert den Horizont. Darum war auch die Preisverleihung heute Abend für mich ein großer Gewinn mit total spannenden Beiträgen.“   Tanja Pfeiffer, 37 Jahre, Stuttgart: „Gute Journalisten begeben sich in andere Welten und nehmen die Leser mit auf ihre Reise. Ich fand die Ansprache des Preisträgers Navid Kermani sehr treffend: Es geht bei jedem Thema darum, mehrere Seiten zu beleuchten. Nicht nur die Meinung und das persönliche Gefühl des Journalisten sollten im Vordergrund stehen. Guter Journalismus ist für mich ein Sprachrohr und der Blick in eine andere Lebenswirklichkeit. Ohne den moralischen Zeigefinger zu erheben oder ein Urteil zu bilden. Das soll dem Leser selbst überlassen sein.“

Günter Kappler aus Fellbach: “Für mich bedeutet guter Journalismus, dass jemand vor Ort ist und dort gründlich recherchiert. Ich weiß, dass das mit erheblichem Aufwand verbunden ist. Man muss viel Geld und Zeit investieren. Aber nur so kann man eine adäquate Abbildung der Wirklichkeit liefern. Ich denke, es gibt auch heute noch viele gute Berichte, aber man muss sie suchen. Sie sind kein Massenphänomen mehr. Allerdings bin ich auch kein großer Freund von Embedded-Berichten. Mir gefallen da eher die Reporter, die versuchen vor Ort auf eigene Faust zu recherchieren. Mein Gefühl ist einfach, dass die andere Form zu sehr gesteuert wird, durch die Interessen desjenigen, über den der Embedded-Journalist berichtet.”   Brigitte Haisch aus Stuttgart: “Mir ist wichtig, das wahrheitsgemäß berichtet wird. Das nichts beschönigt oder unter den Tisch gekehrt wird. Es ärgert mich besonders, dass heutzutage so viel abgeschrieben wird zwischen den Zeitungen. Ich bin schon der Meinung, wenn jemand raus geht um etwas zu erfahren, dann kann er das auch aus seiner Perspektive berichten. Es ist ja auch viel schöner, wenn ich mitlese, was derjenige gedacht hat und wie er etwas wahrgenommen hat. Da sind die Emotionen meistens echt. Das ist für mich viel überzegender.”

Brigitte Heß, 70 Jahre, Fellbach: „Guter Journalismus soll Hintergründe und die Ambivalenz von Meinungen aufzeigen, nicht nur fertige Tatsachen hinstellen. Hansel-Mieth hatte Recht: Mitleid, wenn es nur verbal geäußert wird und keine Taten folgen, ist das erste Unrecht. Gerade heute sollte man sich beim Umgang mit Flüchtlingen daran erinnern.“

Gösta Huppenbauer, 21 Jahre, Stuttgart: „Ich kann mich Navid Kermani nur anschließen: Journalismus sollte in erster Linie berichten. Und er muss in eine Sache investieren dürfen. Das ist natürlich schwierig geworden mit dem Internet, wenn immer alles schnell gehen muss. Ich bin zwar selbst ein „digital-native“, aber überzeugt, dass die gedruckte Reportage immer wichtig bleiben wird.“