Zeitenspiegel Reportagen

Zeitenspiegler schreiben über NSU

30.05.2014

„Geheimsache NSU“: Neue Spuren in der Neonazi-Mordserie

Das im Tübinger Verlag Klöpfer & Meyer erschienene Buch stellt die offiziellen Darstellungen der rechtsterroristischen Verbrechen in Frage. Neben anderen Journalisten und Publizisten präsentieren zwei Zeitenspiegel-Autoren bislang unbekannte Fakten.

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Bei den Ermittlungen zu den zehn Morden der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) haben deutsche Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden wichtige Spuren nicht verfolgt oder teilweise sogar vertuscht. Dazu gehören eine Reihe von Indizien und Hinweisen, die zu einer umfassenderen Aufklärung des NSU-Komplexes führen könnten. Dies zeigen Recherchen von Journalisten und Publizisten, die ihre Erkenntnisse in dem Buch „Geheimsache NSU – Zehn Morde, von Aufklärung keine Spur“ zusammengetragen haben.

Die Autoren und ihre Themen:

Herausgeber Andreas Förster zitiert im Kapitel „Vertuschte FBI-Spur“ aus einer internen Kommunikation zwischen Geheimdiensten und Bundeskanzleramt, die nahelegt, dass Mitarbeiter der US-Bundespolizei in Heilbronn den Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter beobachtet haben könnten. Recherchiert hat Förster die brisanten Informationen zusammen mit Ahmet Senyurt, der als freier Journalist für ARD und ZDF schon mehrere TV-Dokumentationen zum Thema NSU realisiert hat. Im Kapitel „Staatliche Aufbauhilfe“ beleuchtet Förster – als freier Journalist unter anderem für die Berliner Zeitung, Cicero und das ZDF tätig –, wie der Thüringer Verfassungsschutz daran mitwirkte, dass der Freistaat zu einer Neonazi-Hochburg wurde. Über Spuren ins Milieu von Rockern und Kriminellen berichtet Förster im Kapitel „Showdown in Eisenach“.

Zeitenspiegel-Autor Frank Brunner rekonstruiert die Ereignisse am 25. April 2007, dem Tag des Polizistenmordes in Heilbronn. Der Journalist zeigt, dass die offizielle Version vom Tathergang viele offene Fragen hinterlässt. So seien glaubwürdige Aussagen von Zeugen und V-Leuten der Polizei ignoriert worden. Unter anderem berichtet er über einen bislang unbekannten Ermittlungsansatz. Demnach habe eine Europol-Recherche ergeben, dass zum Zeitpunkt des Mordes Personen in Heilbronn waren, die Kontakte in die Organisierte Kriminalität Osteuropas haben.

Die 2009 mit dem Erich-Fried-Preis ausgezeichnete Schriftstellerin, Lyrikerin und Theaterautorin Esther Dischereit nähert sich im Epilog literarisch den Menschen mit ausländischen Wurzeln, die ermordet wurden.

Aus der Perspektive des Politikwissenschaftlers kritisiert Hajo Funke, Professor an der Freien Universität Berlin und Gastprofessor am jüdisch-amerikanischen Touro College, den Sieg der Geheimdienste über Parlament und Öffentlichkeit. In seinem Aufsatz „Jenseits des Rechts“ beschreibt Funke, wie die Nachrichtendienste eine Aufklärung der Morde verhindern.

Der Jurist Manfred Gnjidic berichtet von seinen Erfahrungen bei der Aufarbeitung von Verbrechen. Gnjidic vertrat als Anwalt das CIA-Verschleppungsopfer Khaled al-Masri. Im Kapitel „Verlorene Würde“ schildert er, wie Behörden und Politik seinem Mandanten den nötigen Beistand verweigerten. Das staatliche Agieren im NSU-Komplex sei für ihn eine Art Déjà vu, so Gnjidic.

Anton Hunger, Buchautor und Kolumnist beim Medium Magazin, wirft einen Blick auf die mediale Szene zum Thema NSU. In seinem Essay „Der kurze Draht zum Amt“ erläutert Hunger, wie und warum sich Journalisten von Behörden mitunter instrumentalisieren lassen. Für exklusive Informationen präsentierten manche Schreiber ihren Lesern völlig unkritisch die offizielle staatliche Sichtweise zur Mordserie, schreibt Hunger, der Jurymitglied des von Zeitenspiegel vergebenen Hansel-Mieth-Preises ist.

Thomas Moser dokumentiert die Arbeit des NSU-Bundestagsuntersuchungsausschusses. „Abgeordnete, die aufklären wollen und nicht können“, hat er sein Kapitel überschrieben. Die Anwesenheit eines Verfassungsschützers beim Mord an Halit Yozgat 2006 in einem Internetcafé in Kassel thematisiert der freie Journalist (u.a. für die ARD) im Abschnitt „Der Schattenmann“. In seinem Stück „Die Nagelbombe“, geht er Indizien dafür nach, dass beim Anschlag in der Kölner Keupstraße Sicherheitskräfte vor Ort waren. Außerdem analysiert Moser den derzeit laufenden Prozess gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche NSU-Helfer vor dem Bayerischen Oberlandesgericht. „In München soll das NSU-Problem beendet werden“, lautet Mosers Fazit.

Wie Recherchen, die an der Version der Bundesanwaltschaft zweifeln lassen, mit medialer Hilfe diskreditiert wurden, beschreibt Rainer Nübel im Kapitel „Ich, der Fälscher“. Nübel, Autor bei Zeitenspiegel und Mitarbeiter des Stern, zeichnet nach, mit welchen Strategien die Bundesanwaltschaft von Hinweisen ablenkte, die eventuell zur Aufklärung des Heilbronner Polizistenmordes beitragen könnten. Doch trotz staatlicher Blockade, besonders in Baden-Württemberg, werde der NSU-Komplex aufgeklärt, wagt Nübel im Kapitel „Dissidenz im Dienst“ eine optimistische Prognose.

Thumilan Selvakumaran, Redakteur bei der Südwestpresse, recherchierte im baden-württembergischen Ku-Klux-Klan-Milieu, traf Aussteiger und andere Informanten. Die Ergebnisse seiner investigativen Arbeit sind im Kapitel „Braunes Netzwerk im Ländle“ nachzulesen. Der Ku-Klux-Klan zog Polizisten und V-Leute an, mindestens ein Spitzel hatte NSU-Verbindungen, resümiert Selvakumaran.

Andreas Förster (Hg.): Geheimsache NSU. Zehn Morde, von Aufklärung keine Spur Klöpfer und Meyer, 315 Seiten, Tübingen 2014