Zeitenspiegel Reportagen

Bis wir eine echte Familie sind

"The Collection", 31.05.2012

Von Autor Tilman Wörtz

Jahrelang hat ein US-Paar versucht, Kinder zu bekommen. Nachdem zahlreiche Behandlungen fehlschlugen, reisten die beiden Amerikaner nach Indien, kauften dort eine Eizelle und heuerten eine Leihmutter an.

«Du siehst wunderschön aus», sagt der Mann. Er spricht ins Mikrofon seines Laptops. Die Frau auf dem Bildschirm hält sich die Hand vor den Mund, ihre Bäckchen spannen sich vor Freude und Scham. Das Bild ist verpixelt, aber man sieht, dass sie in einem Büro sitzt. Sie ist Inderin.

«Dürfen wir Deinen Bauch sehen?», fragt eine blonde Frau neben dem Mann. Die Inderin steht auf und ist jetzt nur noch vom Hals abwärts im Bildausschnitt zu sehen. Sie streicht das rosa Gewand glatt, unter dem Tuch wölbt sich ein Bäuchlein.

In diesem Moment stockt die Übertragung, und für Sekunden der Stille gibt es nur noch das Bäuchlein – und die Zwillinge von Rhonda und Gerry darin. 13. Woche, ein kritisches Datum, die riskanteste Phase der Schwangerschaft ist jetzt vorüber.

«Wonderful», sagt Gerry, als die Leitung wieder steht, «we love you!» Gerry hat Tränen in den Augen, Rhonda schweigt beseelt. Später sagt sie, diese spärlichen Kontakte geben ihr das Gefühl, an der Schwangerschaft teilzuhaben.

Zwanzigtausend Kilometer trennen Rhonda und Gerry in Phoenix, Arizona, von der Inderin Fatima in Mumbai. Zwei Welten, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten – wären da nicht die zwei Föten in Fatimas Bauch. Dreizehn Wochen ist es her, dass in einer Klinik in Mumbai Gerrys tiefgefrorene Spermien aufgetaut wurden und in Petri-Schalen 14 Eizellen einer indischen Spenderin befruchteten. Drei Embryonen wurden daraus gewonnen und mit einem Schlauch in Fatimas Gebärmutter gespült. Zwei Embryonen nisteten sich ein. Gerry und Rhonda haben sich noch nicht auf Namen geeinigt.

Die Eizellen stammen nicht von Fatima – sie soll keine emotionale Bindung zu den Föten aufbauen. Eine genetische Verbindung würde dies nur befördern. Deshalb stammen die Eizellen von einer anderen indischen Spenderin. In einem Vertrag hat sich Fatima verpflichtet, die Babys im Moment der Entbindung abzugeben. Gerry und Rhonda werden zur Geburt nach Mumbai reisen und die Zwillinge gleich mitnehmen. Die Leihmutter Fatima bekommt 300.000 Rupien, umgerechnet 6.750 Dollar. Davon sind 1.750 Dollar der Aufschlag für den Zwilling. «Schau, wie glücklich sie aussieht», sagt Gerry nach dem Skype-Gespräch. «Sie macht doch nicht den Eindruck, als wäre sie gezwungen worden!» Gerry und Rhonda kennen Fatima noch nicht persönlich. Aber sie haben schon Erfahrungen mit Indien und auch mit indischen Leihmüttern gesammelt.

Der Beweis balanciert gerade auf dem Tisch – Blaze ist 18 Monate alt. Eine indische Leihmutter hat ihn ausgetragen. «Es ist so wunderschön, wie er jeden Tag die Welt neu entdeckt», schwärmt Rhonda, sichert die Tischflanken ab, damit ihr Baby nicht abstürzt.

Nach einer Weile hebt Gerry Blaze hoch und küsst ihn in der Luft. Sein tätowierter Bizeps hat fast den gleichen Durchmesser wie der Körper des Kinds. Die beiden ähneln sich mit ihren dunklen, offenen Augen und der gewölbten Stirn. Nach der beglückenden Erfahrung mit Blaze haben Gerry und Rhonda einen zweiten Auftrag an die Agentur in Mumbai vergeben. Blaze soll Geschwister bekommen.

In einem Dutzend Ländern weltweit ist das Geschäft mit Leihmüttern legal. Besonders in Indien den USA, der Ukraine, Georgien, Panama und Thailand boomt das Gewerbe. Die meisten europäischen Länder verbieten Leihmutterschaften, China und Russland eingeschlossen. In Großbritannien, Belgien, den Niederlanden und Australien sind sie erlaubt, sofern nur die Unkosten bezahlt werden, nicht aber ein Honorar. In Indien ist eine Leihmutterschaft günstig, das Vertrauen in das Englisch sprechende, gut ausgebildete Klinikpersonal trotzdem hoch: Der Nachwuchs kostet die zukünftigen Eltern dort rund 30.000 Dollar. In den USA müssten sie drei Mal so viel investieren.

Dr. Hrishikesh Pai, In-Vitro-Spezialist und Vize-Präsident der indischen Gesellschaft für Fortpflanzungsmedizin, schätzt, dass in seinem Land 500 Einrichtungen Leihmütter vermitteln. Allein dieses Jahr werden etwa 1.500 ausländische Paare versuchen, so zu einem Kind zu kommen – doppelt so viele wie noch vor fünf Jahren. Gesicherte Zahlen gibt es nicht. Private Kliniken stellen die Mehrzahl der Anbieter. Melden müssen sie die Geburten nicht.

Indien ist zum Weltmarktführer für Leihmütter geworden. Das Land auf dem Subkontinent hat die Debatte um das Austragen eines Babys als bezahlte Dienstleistung neu entfacht.

Rhondas Handy klingelt in Arizona, oder besser: es trällert ein Babylachen. Die Reha-Klinik, in der sie als Krankenschwester arbeitet, will mit ihr die nächste Schicht koordinieren. Rhonda muss sich mit Gerry absprechen. Er ist bei der Feuerwehr, hat jede Woche zweieinhalb Tage am Stück Dienst. Wenn beide gleichzeitig arbeiten, passt eine mexikanische Nanny auf Blaze auf. Das Paar gehört zur amerikanischen Mittelschicht, das sich auf Pump kommod eingerichtet hat, aber ihre Ausgaben genau kalkulieren muss.

Ihr Haus ist geräumig, der zentrale Wohnraum vier Meter hoch, der Fernseher eine Adlerspanne breit. Verdorrte Kakteen und ein sonnengebleichter Büffelschädel sorgen für das passende Dekor zum Wüstenstaat Arizona vor der Tür.

Die Indien-Pläne von Rhonda und Gerry fielen mit der Finanzkrise zusammen. Bei Banken war kein Kredit mehr zu bekommen, zur Finanzierung der Reise nach Indien, der Kosten für Krankenhaus, Leihmutter und die Vermittlung durch eine Agentur beanspruchten Rhonda und Gerry deshalb den Dispo auf ihren Kreditkarten bis zum Anschlag. Sie zahlen heute noch die Schulden dafür ab.

Stars wie Nicole Kidman und Sarah Jessica Parker haben Leihmütter beauftragt, den Nachwuchs auszutragen. Sie konnten sich amerikanische Frauen leisten. Durch Indien ist es auch für Paare wie Rhonda und Gerry erschwinglich geworden, eine Leihmutter zu buchen.

Die Zeit war reif. Gerry war sechs Jahre zuvor aus dem Irakkrieg zurückgekehrt, Rhonda bereits 35 Jahre alt. Sie wollten eine Familie gründen. Alles war bereitet. Das Zuhause, feste Jobs, sogar die amerikanische Staatsbürgerschaft für die beiden gebürtigen Kanadier. Nur das Kind fehlte noch. Ein halbes Jahr versuchten sie es vergeblich. Rhonda unterzog sich einer Hormontherapie. Wurde schwanger. In der achten Woche hörte das Herz des Fötus auf zu schlagen. Die Krankenpflegerin suchte Spezialisten auf. Sie hatte zwei Gebärmütter, stellten sie fest. Beide zu klein, um ein gesundes Kind auszutragen.

Sie begannen ein Blog über ihr Hoffen, die Enttäuschungen und die Momente des Glücks. «Unsere Reise» nennt Rhonda die vier Jahre dauernde Odyssee, ein Kind zu kriegen. Mit jedem neuen Scheitern wurde er drängender. Sie schreibt: Ich weiß nicht, ob ich es aushalte, nie Mutter zu werden. Es ist alles, was ich im Leben will. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich niemals dieses Gefühl kennen lernen werde, mein Baby im Arm zu halten.

Rhonda ging zu einem Seminar über Adoptionen – und schreibt enttäuscht ins Blog: Eine Adoption dauert Jahre, selbst wenn man bereit ist, ein behindertes Kind aufzunehmen – und das wären wir. Neugierige Sozialarbeiter würden überprüfen, ob wir wohlhabend genug sind oder vielleicht dickleibig. Und am Ende kann man sich nie sicher sein, ob es wirklich klappt. Wir wollen unser Kind aber JETZT!

Am Fernsehen erfuhren sie von indischen Leihmüttern und gingen auf die Suche.

Mumbai, Indien, in einem Viertel im Norden der Stadt. Motorisierte Dreiräder drängeln hupend, wirbeln Staub auf. Läden mit Eisenwaren, Kleidern, Blumen säumen die Straße. Eine moderne Shopping Mall steht noch leer, in der Nachbarschaft Wohnhäuser aus modrigem Beton, gegenüber ein fünfstöckiges weißes Gebäude, dessen Fassade mit Schildern bepflastert ist: Arztpraxen, eine Computerschule, Buchhalter, Architekten teilen sich den Bau. Ein Schild fehlt: Surrogacy India erklärt sich dem Besucher erst im zweiten Stock. «Making babies possible!», lautet das Motto der Agentur.

Surrogacy India ist laut eigener Darstellung der einzige Anbieter in Mumbai, der sich ausschließlich auf Leihmütter spezialisiert hat. Herzstück der Agentur ist ein Büro, auf dessen gelbem Ledersofa sich ausländische Paare, potenzielle indische Leihmütter und ukrainische Ei-Spenderinnen ablösen. Die Ukrainerinnen fliegen für jene Kundinnen ein, die keine eigenen Eier für die künstliche Befruchtung verwenden können – und dennoch ein hellhäutiges Baby möchten. Preisaufschlag 12.000 Dollar.

Rhonda wollte es zuerst mit eigenen Eizellen versuchen. Zwei Versuche scheiterten. Also wählten sie eine indische Spenderin.Gegenüber dem Sofa steht der Tisch mit dem PC, an dem Fatima mit Gerry und Rhonda gesprochen hat. Surrogacy India bringt die Beteiligten zusammen: Die Auftraggeber mit den Leihmüttern, die Leihmütter mit den Ärzten und alle mit dem Rechtsanwalt. Auch eine Reiseagentur arbeitet für die Surrogacy India. Wir werden wunderbar betreut. Heute stand ein Blumenstrauß in unserem Hotelzimmer. Wir lieben Indien!, schreibt Rhonda in ihrem Blog.

Die Standarduntersuchungen können in Praxen im selben Gebäude vorgenommen werden, für Embryotransfer und Entbindung arbeitet Surrogacy India mit den besten Kliniken der Stadt. 84 Leihmütter haben in den drei Jahren des Bestehens entbunden, vierzig weitere sind derzeit schwanger.

Im Wartezimmer sitzen einige von ihnen. Fatima, 28, hat heute eine Ultraschalluntersuchung. Sie trägt einen türkisfarbenen Salwar Kamiz aus Hose und langem, geschlitztem Hemd, hat die Haare zum Dutt hochgesteckt. Reste roten Nagellacks zieren ihre Fußnägel. Einen Stock tiefer beim Gynäkologen dreht sie sich auf der Liege zur Seite und heftet den Blick an die Wand. Der Arzt lässt die Sonde über ihren Bauch gleiten und macht in Sekundenschnelle die Lage der Föten aus, ihr Profil, Ärmchen und Beinchen. Erklärungen gibt er keine ab. Normalerweise ließe sich der Herzschlag hören, doch die Lautsprecher sind nicht angestellt. Fatima bittet nicht darum.

Rhonda bekommt das Bild kurze Zeit später über das Internet in 3D und mit Tonspur zugespielt. Sie schreibt: Atemberaubend, so emotional! Blaze schaut sich das Bild an und sagt: «Hi, Baby».

Surrogacy India nimmt nur Frauen, die sicher Kinder austragen können. Fatima ist Mutter, hat zwei eigene Kinder, Shabnam, 12, und Shafir, 10. Bei diesen beiden Schwangerschaften kam sie ohne Ultraschall aus. Ihre Familie kann sich Arztbesuche nicht leisten. Nur einmal, als Shafir Malaria hatte, haben sie sich von Freunden Geld geborgt und ihn im Krankenhaus behandeln lassen.

Als Leihmutter bekommt sie die beste medizinische Betreuung, die in Mumbai verfügbar ist. Im Ausland geschulte Ärzte, mindestens 55 Untersuchungen bis zur Entbindung.

Die Wege durch den dichten Verkehr auf den Straßen Mumbais sind weit. Jeder Gang zum Arzt könnte zum Risiko für Fatima und die Zwillinge werden. Laut Vertrag müssen Fatima und ihre Familie deshalb in der Nähe ein kleines Zimmer mieten. Andere Kliniken in Indien behalten die Frauen bis zur Entbindung getrennt von ihren Familien bei sich. Der Begriff «Baby Farmen» kam auf.

Das Zimmer misst zwei mal vier Meter und ist spärlich möbliert – ein Sofa und ein Schrank mit Fernseher. Fatima liegt den ganzen Tag. Schwellen ihre Füße an, macht sie ein paar Schritte in das schmale und dunkle Gässchen vor dem Hauseingang. Dort duftet es nach Rosenholz und Zimt. Fünfzehn Meter geht sie, bis zur Ecke, wo eine Frau durch ein Mauerloch Lutscher, Kaugummis und Getränke verkauft. Mit den Menschen in Haus und Viertel spricht sie nur das Nötigste. Abends wird ihr Mann kommen und die beiden Kinder mitbringen. Fatima sehnt sich nach diesem Moment. Ihr Mann wird Essen kochen, und sie werden vielleicht fernsehen – vorausgesetzt, der Hausbesitzer möchte das auch. Ohne seine Anwesenheit wagen sie nicht, den Apparat einzuschalten.

Trotz der Enge hat das Leben in diesem Zimmer einen großen Vorteil: Fatimas Familie und die Nachbarn wissen zwar, dass sie schwanger ist, aber sie ahnen nicht, von wem. «Sie würden schlechte Sachen von mir denken, wenn sie von Gerry wüssten.» Was In-Vitro-Fertilisation ist, hat sich in ihrem Slum noch nicht herumgesprochen, Leihmutterschaft würde als Ehebruch interpretiert. «Wir haben zuhause Komplikationen angedeutet, gesagt, die Ärzte wollten mich unter Beobachtung stellen.»

Nach der Entbindung wird Fatima in ihr normales Leben zurückkehren und erzählen, das Kind sei gestorben. Den Grund, warum es ihrer Familie jetzt finanziell besser geht, wird sie nie verraten.

In ihrem Heim, eine Stunde Autofahrt entfernt, wartet unterdessen Fatimas Mann Sainudin, 33, vergeblich auf einen Telefonanruf. Er kann elektrische Anschlüsse legen und Wände streichen. Neben der Eingangstür ihrer Hütte aus Wellblech, Plastikplanen und Bambusstützen hat er mit Kreide seine Handynummer gekritzelt: 9846372. Doch niemand ruft an. Wann wer seine Arbeit brauchen kann, lässt sich nie vorhersagen. Meist kommt er auf einen Schnitt von 90 Dollar im Monat. Damit muss seine Familie auskommen.

Wie er überleben alle in dem Viertel, als Tagelöhner ohne feste Arbeit. An den Straßenecken sitzen Männer in kleinen Gruppen den Tag ab. Hunde streunen durch Gassen aus festgetretenem Lehm und schnuppern im Abwasserrinnsaal. Wer Glückt hat, bekommt vielleicht für ein paar Tage Arbeit auf dem Bau. Oder kann in einem Laden aushelfen. Oder bekommt ein paar Rupien dafür, dass er die öffentliche Toilette säubert, die sich Fatimas Familie mit zwei Dutzend weiteren teilt.

Dreiviertel aller Inder gehören dem informellen Sektor an. Sie haben keine feste Arbeit, keine Sozialversicherung, keine Gesundheitsvorsorge, außer den obligatorischen Impfungen gegen Typhus, Hepatitis und Polio – damit sie nicht zum Risiko für die Gesellschaft werden. Die meisten von ihnen sind Bauern. Fatima kann ihre Kinder auf eine öffentliche Schule schicken. Im Landesinnern ist selbst das nicht sicher. Der Wirtschaftsaufschwung in Indien hat seit der Marktöffnung von 1991 vierhundert Millionen Menschen zu deutlich mehr Wohlstand verholfen und das Land in die Liga der größten Wirtschaftsnationen katapultiert – doch die restlichen 800 Millionen leben noch immer in Armut, von weniger als einem halben Dollar am Tag oder dem, was sie auf ihren Feldern anbauen. Die 6.750 Dollar, die Fatima von Gerry und Rhonda bekommen wird, entsprechen mehr als dem sechsfachen Jahresverdienst ihres Mannes. Sainudin zeigt stolz auf den Kühlschrank und den Fernseher, den sie davon kaufen konnten. Gebraucht zwar, aber immerhin. Sie werden die Mitgift für die Heirat ihrer Tochter Shabnams zur Seite legen können, ihre Wellblechhütte kaufen und renovieren.

Die Hütte ist kleiner, als das Kinderzimmer von Blaze in Phoenix. Für den Raum haben sich Rhonda und Gerry verkünstelt, haben einen Beamer ausgeliehen, Affen, Palmen und Giraffen an die Wand projiziert und dann mit einem Pinsel die Linien nachgezogen und ausgemalt. Das Kinderzimmer ist jetzt ein Dschungel. Auf zwei Regalen stehen Kinderbücher. Blaze hat einen eigenen Fernseher und mit Babyspielsachen gefüllte Kisten. In der Hütte von Fatima und Sainudin steht gerade mal ein Bettrost, auf dem alle vier schlafen. In einer Ecke sind Aluminiumteller aufgereiht, ein paar verstaubte Tassen stehen im Regal, ein Ventilator surrt, Sohn Sharif hat ein paar Murmeln, das war´s. Ach ja, und dann noch das ferngesteuerte Auto und die Barbie-Puppe, die Gerry und Rhonda geschickt haben. Derzeit zahlen Fatima und ihr Mann Sainudin 120 Rupien Monatsmiete, 27 Dollar, ein Drittel ihres Einkommens.

Gehört das Heim erst mal ihnen, fällt diese Ausgabe weg, stehen Reserven für die Ausbildung der Kinder zur Verfügung. Sainudin ging nur sechs Jahre zur Schule, Fatima gar nicht. Wollen ihre Kinder einen regulären Arbeitsplatz bekommen, brauchen sie einen Schulabschluss. «Reguläre Arbeit» für ihre Kinder! Das wäre Fatimas größter Wunsch. Vielleicht macht es die Leihmutterschaft möglich.

In Indien haben die «Babyfabriken» eine heftige Debatte ausgelöst. Es geht um die «Kommerzialisierung menschlicher Beziehungen». Professorin Vibhuti Patel, Leiterin der Wirtschaftsabteilung an der SNDT Women´s University in Mumbai, einer der beiden Vorzeige-Universitäten der Stadt, kritisiert Gesellschaft und Staat, die nicht die nötigen Rahmenbedingungen schaffen würden, damit eine Familie für Heim, Gesundheit und Bildung sorgen kann, ohne dafür den eigenen Körper verleihen zu müssen. Befürworter halten dagegen, dass es in Indien nun mal Armut gebe und das Geldverdienen als Leihmutter «ehrenhaft» und allemal besser sei als Prostitution oder Organverkauf, wozu sich viele arme Frauen gezwungen sähen. Zu diesem Lager zählt sich auch Dr. Anita Soni, die Gynäkologin, die Blaze zur Welt gebracht hat und auch Fatima bei der Entbindung beistehen wird. Gerry und Rhonda sind sich sicher, dass wir «den Leihmüttern und ihren Familien die Chance auf eine besseres Leben geben.» Das hat sie zu Herolden der Leihmutterschaft gemacht. Rhondas Blog wird tausendfach von kinderlosen Paaren in aller Welt geklickt, Gerry heftete ein Plakat mit der Aufschrift: «Sie können kein Kind bekommen? Wir helfen ihnen, sie sind nicht allein!» samt Kontaktadresse an sein Auto. Im Wohnzimmer hängt eine Fotogalerie mit Fatima, den Ärzten von Surrogacy India und Khatija, der Leihmutter von Blaze. «Unser direktes Umfeld hat positiv reagiert», sagt Rhonda, «nur auf meinem Blog gab es ätzende anonyme Kommentare.» Sie weiß von anderen Paaren, die schamvoller mit dem Thema umgehen. «Blaze wird mit dem Umstand seiner Geburt gut zurecht kommen», sagt Gerry, «er wird sich denken: Meine Eltern haben so viel durchgemacht, um mich zu bekommen – ich muss jemand ganz Besonderes für sie sein!»

Sobald die Zwillinge zur Welt gekommen sind, wollen Gerry und Rhonda noch einmal die Leihmutter ihres Sohnes Blaze besuchen, Khatija, 27. Bereits vor Blazes Geburt luden Gerry und Rhonda ihre Leihmutter, deren Mann und die beiden Söhne in ihr Hotel ein. Die Kinder plantschten zum ersten Mal in ihrem Leben in einem Pool. «Sie haben uns behandelt, als gehörten wir zur Familie», sagt Khatija. Sie erinnert sich gerne an die gemeinsame Zeit. «Für uns ist der Kontakt wichtig», sagt Rhonda. Andere Agenturen wollen das nicht, um spätere Ansprüche der Leihmütter auszuschließen. Es gibt bisher keine gesicherten Erkenntnisse, welche Methode die verträglichere ist. Gerry und Rhonda haben Khatija ein Fotoalbum mit Schnappschüssen nach Mumbai geschickt. Zum ersten Mal überhaupt sieht Khatija das Kind. Sie blättert vorsichtig die Seiten um. Sie schweigt. «Es ist ein wenig traurig», sagt sie. Und: «Ich freue mich, dass Gerry und Rhonda an uns denken.» Was, wenn sie das nicht täten? «Das wäre in Ordnung. Das ist ihre Entscheidung.»

Es war am 26. August 2009, als Blaze per Kaiserschnitt zur Welt kam. Während die Nabelschnur durchtrennt wurde, gab er bereits die ersten Schreie von sich, verhalten erst, dann kräftiger. Khatija sah das Neugeborene nicht, eine Ärztin brachte es sofort weg. In der Geburtsurkunde stehen Gerry und Rhonda als Eltern. Als der Arzt mir Blaze in die Arme legt, schmolzen alle Enttäuschungen der vergangenen Jahre dahin. Er war perfekt, er war wunderschön, er war unser Kind.

Die beiden besuchten Khatija nach der Entbindung. Rhonda küsste ihre Leihmutter auf die Stirn, sagte: «Es ist ein Junge!» «Kann ich ihn noch mal sehen?», fragte Khatija. Rhonda und Gerry hatten nichts dagegen, doch Surrogacy India rät allen Eltern dringend davon ab. Das mache die Trennung nur schwieriger.

Khatija hatte sich darauf eingestellt. Strampelte das Baby im Bauch, sagte sie sich: «Es ist nicht Deines, es gehört jemand anderem, Du wirst es weggeben. Du machst das für Deine eigenen Kinder!» Khatija weinte eine Woche lang. «Dann ging es», sagt sie. Sie schaut sich noch einmal die Fotos an: «Ich weiß, es geht Blaze gut.» Sie lächelt. Ihre Kinder sehen sich die Fotos an. Der Raum ist genauso winzig wie Fatimas Hütte, aber neu, gemauert und: bereits Eigentum der Familie.

Heute versucht sich Khatija als «caretaker». Sie führt neue Leihmütter ans Metier heranführt. Die Anwerbung funktioniert über Mund-zu-Mund-Propaganda in den Armenvierteln. Auch Khatija erfuhr es von einer Freundin. Zwei potenzielle Leihmütter hat sie bereits betreut.

Die Kandidatinnen erstellen gemeinsam mit Surrogacy India ein Profil für potenzielle Auftraggeber. Die können sich dann ihre Leihmütter in einer Datenbank im Internet aussuchen. Die Profile der Eispenderinnen sind ebenfalls in dieser Datei hinterlegt. Die Frau, aus deren Ei der kleine Blaze hervorging, heißt Skeeba. Rhonda und Gerry waren mit dem Ergebnis so zufrieden, dass sie Skeeba um die Eispende beim zweiten Versuch baten. Sie ist 21 Jahre, hat gewellte schwarze Haare, besuchte die Schule bis zur siebten Klasse, kocht und singt und wird von Freunden als «unabhängig» beschrieben. In der «Krankheitsgeschichte» wird die Eispenderin nach Tuberkulose, Hepatitis, Bluthochdruck, Corea Huntington, Down-Syndrom, Depression und anderen, teils genetisch bedingten Krankheiten befragt. Viele Frauen kennen diese medizinischen Begriffe nicht und lassen die Fragen danach unbeantwortet.

Die Informationen über Eispenderinnen und Leihmütter sind spärlich. In den USA sind solche Angaben ausführlicher, schreibt Rhonda in ihrem Blog. Wir haben uns nach dem Foto gerichtet. Ich suchte eine Frau mit eng beieinander liegenden Gesichtszügen wie meinen eigenen – weil mir dann mein Kind vielleicht ein wenig ähnlicher sehen wird..

Das Geschäft mit der Leihmutterschaft ist nüchtern, wirkt manchmal hartherzig. Umso überraschender ist die Begegnung mit der Gründerin von Surrogacy India. Frau Dr. Yashadhora Mathre, kurz Dr. Yash, begrüßt ausländische Gäste und Leihmütter so besonnen und kompetent. Unsere Freundschaft geht weit über das Babymachen hinaus! (Rhonda in ihrem Blog). In Indien ausgebildet, sammelte sie einige Jahre in Australien und Singapur Erfahrungen, kehrte nach Mumbai zurück und hat für private Kliniken gearbeitet. Vor drei Jahren erkannte sie die Marktlücke für eine Agentur, die sich nicht nur um medizinische Belange, sondern um die Rundumbetreuung der Kunden kümmert – oder der «Patienten», so Dr. Yash. Anders als bei Rhonda und Gerry spielt der Aspekt der «genetischen Elternschaft» für die meisten ihrer Kunden eine zentrale Rolle. «Sie wünschen sich ein genetisch verwandtes Baby – diesen Wunsch können sie sich über Adoption nicht erfüllen.»

Wie sehr das Interesse ausländischer Kunden an einem solchen Service stieg, erfuhr Dr. Yash durch ihren Kompagnon Dr. Sudhir Ajja. Er war zuvor für den «Gesundheits-Tourismus» in der Marketingabteilung der Privatklinik Hiranandani zuständig. Die Branche boomt. In einer Studie von McKinsey und der Confederation of Indian Industry (CII) wird sie für das Jahr 2012 auf zwei Milliarden Dollar Umsatz geschätzt und auf Wachstumsraten von dreißig Prozent. Die indische Regierung hat das Land zur «Global Health Destination» erklärt und fördert diese Schlüsselindustrie durch Vergabe billigen Baulands für neue Kliniken oder durch freigiebig ausgestellten Visa für Gesundheitstouristen. Wer in der Branche eigentlich was macht, bleibt unklar. Der Staat sammelt keine Daten. Kritiker bemängeln die fehlende Rechtssicherheit. Es gibt immer wieder konsularische Probleme mit Ländern, in denen eine Leihmutterschaft nicht legal ist. Ein deutsches Paar konnte zwei Jahre lang ein Baby nicht mit nach Hause nehmen, weil die Bundesrepublik nur die indische Frau als Mutter anerkannte, die das Baby ausgetragen hatte, während die Deutschen für die indischen Behörden legale Eltern waren. Nach einigem diplomatischen Tauziehen konnte das staatenlose Kind schließlich doch in Deutschland eingebürgert werden. In Indien ist eine gesetzliche Regelung in Vorbereitung und soll Ende des Jahres im Parlament beschlossen werden. Ausländer müssen dann nachweisen, dass die Behörden ihres Heimatlandes die Elternschaft anerkennen. Die Altersobergrenze für Leihmütter wird in dem Gesetz auf 32 Jahre festgelegt, die Zahl der Schwangerschaften auf fünf – die eigenen Kinder inbegriffen. Frauenrechtlerinnen geht der Gesetzentwurf nicht weit genug. So bemängelt die Ressource Group on Women and Health in Neu-Delhi, zwar sei eine «adäquate Versicherung» für die Leihmütter vorgeschrieben. Worin sie besteht, sei nicht geklärt.

In-Vitro-Fertilisationen sind durch die häufig auftretenden Mehrlings-Schwangerschaften mit höheren Risiken verbunden. Hinzu kommt die Differenz des Gewichts eines amerikanischen oder europäischen Fötus im Vergleich zum indischen. Blaze wog bei der Geburt vier Kilogramm, während indische Neugeborene durchschnittlich auf nur 2,6 Kilogramm kommen. Bei Zwillingen verdoppelt sich diese Differenz. Überdies bestehen Risiken wie das Hyperstimulations-Syndrom der Gebärmutter durch die zahlenreichen Hormonpräparate, die Leihmütter einnehmen. Sie sollen die Empfängnis wahrscheinlicher und das Halten des Fötus sicherer machen.

Surrogacy India hat sich bereits jetzt eigene Kriterien auferlegt: «Wir nehmen keine Aufträge über E-Mail an, und die Patienten müssen mindestens einmal persönlich mit uns gesprochen haben.» Die Altersgrenze für zukünftige Eltern wurde bei 45 Jahre festgelegt: «Sonst ist das Risiko zu hoch, dass in ein paar Jahren Waisen zurück bleiben», sagt Dr. Yash. Vertraglich verpflichten sich die zukünftigen Eltern, das Kind auch dann anzunehmen, wenn es mit einer Behinderung zur Welt kommt. «So einen Fall hatten wir allerdings noch nicht», sagt Dr. Yash.

Für Gerry und Rhonda ist bisher alles gut gelaufen. Söhnchen Blaze gibt den Rhythmus ihres Lebens vor. Donnerstags Schwimmkurs; zwei, drei Mal in der Woche mit Daddy in den Zoo, am Wochenende im klimatisierten Hummer in den Supermarkt. «Wir haben kein aufregendes Leben, aber ein sehr glückliches», sagt Gerry. Rhonda könnte allerdings ein wenig öfters rausgehen, meint Gerry, auch mal allein mit Blaze in den Zoo. „Wer liebt Blaze?“ fragt Rhonda zuhause, hebt Blaze in den Kindersitz und serviert ihm seinen Brei. „Momi!“, sagt Blaze und freut sich Herz erweichend darüber, dass er die Frage korrekt beantwortet hat. „Ich würde Blaze nicht stärker lieben können, wenn ich ihn selbst ausgetragen hätte. Stärker geht gar nicht“, sagt Rhonda, als Blaze wieder seine Runden im Haus dreht. Ihr Blick folgt ihm, bleibt irgendwo in der Luft hängen: „Ich fürchte mich nur davor, dass Blaze eines Tages im Ärger sagen könnte, ich sei überhaupt nicht seine richtige Mutter. Teenager haben ja manchmal solche Anwandlungen.“

Rhonda hatte die Einsicht geschmerzt, dass sie kein eigenes Kind austragen können würde. Dass es auch nicht mit ihren eigenen Eizellen klappen und deshalb das Kind nicht genetisch verwandt sein würde. „Wird es wirklich mein Kind sein?“ war ein Zweifel, der sie bis in die Schwangerschaft Khatijas hinein begleitete. Gerry war zuerst völlig ablehnend gegenüber dem Gedanken an eine Leihmutterschaft: „Unser Kind wäre auch Teil von einer anderen Frau – dieser Gedanke war wie ein Schlag ins Gesicht für mich.“ Doch er gewöhnte sich an die Vorstellung und bestärkte dann Rhonda in ihrem Entschluss: „Es wird unser Kind sein und wir werden endlich eine Familie haben, alles andere ist egal.“

Dankbarkeit ist ein Wort, das Rhonda oft verwendet: Dankbarkeit für Gerry, ihre unfehlbare Stütze, Dankbarkeit für Dr. Yash und Dr. Suddhir, Dankbarkeit für die Leihmütter, deren Leistung sie bewundert:«Das sind ganz besondere Frauen. Ich könnte das nicht.» Sie muss es auch nicht. Sie lebt nicht in Indien.