Zeitenspiegel Reportagen

Die Rückkehr der Wüstenritter

Erschienen im Magazin des "Sonntagsblick", 9/2009

Von Autorin Uschi Entenmann

Im Norden Malis haben ein deutsches Ehepaar und ein weiser Tuareg gemeinsam den Krieg vertrieben

Es herrscht Leben in den Straßen von Diré, die Wüstenstadt im Norden Malis ist erfüllt von Geschrei, von Gerüchen und Gefeilsche des Markttreibens. Schwarze Marktfrauen in fahnenbunten Gewändern sitzen vor Gewürzbergen auf ihren Matten; dahinter der Hafen, wo Pirogen auf dem träge fließenden Niger schaukeln. Flussaufwärts legen die Fischer ihre Netze aus, Frauen waschen ihre Wäsche im lehmbraunen Wasser, mitten im Strom baden zwei Flusspferde.

Yehia Ag Mohammed Ali hält heute Hof in Diré, auch seinetwegen kommen viele in die Stadt, doch das muss noch warten. Erst am Abend, wenn das Marktgeschrei verklingt, wenn die Frauen ihre Kinder in Tücher hüllen und auf den Rücken binden, die verbliebene Ware, Kräuter, Salz und Gewürze, in Bast verpacken und dann die Bastballen auf dem Kopf balancierend in die Pirogen steigen, die sie zurück in ihre Dörfer flußabwärts bringen – erst dann tritt Yehia Ag Mohammed Ali in den Hof, und wird sofort umringt von Männern, die ihn mit Fragen bestürmen, bedrängen. Sie brauchen Wasserpumpen, einer fordert Bücher für die Schule, zwei streiten sich um die Verteilung des Ac kerlandes. Yehia beantwortet keine der Fragen, wickelt in aller Ruhe seinen Turban ab, lässt sich eine Kanne Wasser bringen, wäscht sich die Füße und wendet sich in Richtung Mekka, um zu beten. Die Männer folgen sei nem Beispiel, danach bilden sie, nun etwas ruhiger, ei nen Kreis um ihn.

Frieden ist mit diesem Mann über das Land gekommen wie ein warmer Regen über die Wüste. Mali ist nackt. Wo Yehia auf taucht, beginnt das graue, karge Land schon bald zu blühen, wogen grüne Felder von Getreide, Hirse und Weizen. Vor den neuen Lehmhütten spielen Kinder, als hätte es niemals Krieg gegeben. Schwarze und Tuareg, die sie „Rothäute“ nennen, während der Rebellion strikt getrennt, balgen heute als bunte Schar gemeinsam durch den Staub, necken die Ziegen, plantschen im Niger. Sie wissen nicht, dass sie dies den Deutschen zu verdanken haben, und Yehia Ag Mohammed Ali, Sohn eines Marabut, eines Stammesweisen der Tuareg. Stolz wie sein Vater, manchmal aufbrausend wie viele Tuareg, geschickt und geduldig. Doch mit einem Herz so groß, dass er über jahrhundertealte Stammesfehden hinweg eine Schwarze geheiratet hat, aus dem Stamm der Bambara. Die Geschichte von Yehia Ag Mohammad Ali und den beiden Deutschen ist eine Er folgsgeschichte, die dieser Kontinent so dringend braucht wie ein Verdurstender in der Wüste das Wasser. Es ist auch ein Lehrstück, wie relativ der Wert des Geldes ist, so relativ wie der Wert von Wasser in der Wüste: achtlos verschüttet, versickert es in wenigen Sekunden. Yehia Ag Mohammad Ali hat keinen Tropfen verschüttet. Die Männer, die sich um sein Haus in Diré scharen, wissen, dass Yehia Geld zu vergeben hat, deutsches Geld. Es ist viel Geld für ihre Verhältnisse, doch sie wissen auch: Dieses Geld gibt es nur, wenn Frieden herrscht.

September 1994. Frieden im Norden Mali ist etwas, das den Menschen so fern und unwirklich erscheint wie der weiße, strahlende, reiche Kontinent Europa, aus dem Barbara und Henner Papendieck, damals 51 und 49 Jahre alt, angereist kommen. Seit fünf Jahren herrscht Krieg zwischen Regierung und Rebellen. Zwei Dürreperioden haben in den siebziger und achtziger Jahren die Weiden verbrannt, die Rinder der Tuareg sind in Massen verdurstet. Die Not hat internationale Hilfe auf den Plan gerufen. Doch der warme Regen der internationalen Solidarität, so dringend im Norden des Landes benötigt, kommt nie dort an. Regie rungsbeamte bauen mit den Hilfsgeldern in der Haupt stadt Bamako stattliche Villen. „Da sind Milliarden ver sickert, einfach so“, erzählt Henner Papendieck. Die Tuareg, wütend über die vorenthaltene Hilfe, rebellieren. Allen voran junge Tuareg-Söldner, die bei Gaddhafi in Lybien ihr Mordhandwerk gelernt und auf fernen Schlachtfeldern wie Afghanistan und Bosnien gekämpft haben. Sie sind chancen- und perspektivlos, besitzen nichts und haben nichts zu verlieren. Sie plündern Ar meedepots und überfallen mit den erbeuteten Waffen Gendarmerieposten, liefern sich Gefechte mit Armee und Polizei und attackieren alles, was den Staat symbolisiert. Sinnlose Verzweiflungsaktionen. Tausende auf beiden Seiten sterben, Hunderttausende Zivilisten fliehen. Auf Drängen der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich und des Nachbarlandes Algerien, das fürchtet, dass der Konflikt über die Grenzen dringen könnte, schließt man schließlich ein Friedensabkommen. Es sieht vor, die Rebellen kurzerhand in die Armee zu rekrutieren und verspricht den Tuareg, selbständig den Norden zu verwalten.

Doch viele Ex-Rebellen werden nicht aufgenommen und machen daraufhin das Land wieder unsicher. Die sesshaften Songhai gründen eine paramilitärische Miliz und kämpfen gegen die Tuareg. So erleben Henner und Barbara Papendieck nach ihrer Ankunft die nächste Gewaltexplosion, „Wir waren gekommen, um den Friedensprozess zu unterstützen, stattdessen ging der Krieg wieder los.“

Der Ökonom und die Soziologin haben einen anderen Ansatz. Die beiden kennen sich mit den Traditionen afrikanischer Länder aus, seitdem sie 1982 für sechs Jahre in Ghana gelebt und danach in Diensten der deutschen Gesellschaft für Technische Zu sammenarbeit (GTZ) Krisenregionen in Afrika bereist haben. Der Kriegskasse der streitenden Parteien setzen sie eine Friedenskasse von 18 Millionen Euro entgegen, die ihnen die GTZ und die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) anvertraut hat. Mit dem Geld organisieren sie erst einmal: ein riesiges Fest. Das Friedenstreffen in der Stadt M’Bouna soll alle La ger zusammenbringen, soll verfeindete Stämme ver söhnen. Sie laden die Führer der schwarzen Songhai ein, um ihnen klarzumachen, dass sie von der Armee aus dem Süden keine Hilfe erwarten können. Sie laden die Tuareg ein, die erkannt haben, dass die Überfälle ih rer Rebellen auch den eigenen Leuten nur Tod und Ver treibung bringen. Ebenso die Bellahs, die von der Re bellion vertrieben worden sind, und die Fulben, die große Weideflächen mit den Tuareg teilen.

„Wir erreichten sogar, dass Frauen zu dem Treffen kommen konnten“, sagt Barbara Papendieck. Sie kommen mit Lastwagen, zu Fuß und auf Eseln. Songhai, Araber, Tuareg, Bellah und Fulbe hocken, dis kutieren, feilschen und streiten unter freiem Himmel. Die Reden müssen in fünf Sprachen übersetzt werden. Jahr hunderte alte Konflikte und Wünsche werden aufgearbei tet, es geht um Wasser, Schulen, Arbeit. Ein paar Meter entfernt kochen und backen Frauen an riesigen Feuerstel len rund um die Uhr. Die Menschen essen dreieinhalb Tonnen Reis, 180 Schafe, vier Ochsen und Berge von Fladenbrot. 13 Millionen malische Franc kostet das Friedensfest, umgerechnet etwa 20.000 Euro. Drei Tage später kommen die Nomaden aus dem hohen Norden wieder zu den Märkten.

„Die Konferenz brachte die Aussöhnung“, erzählt Barbara Papendieck. „Nun konn ten wir mit der eigentlichen Arbeit beginnen.“ Zuerst gründen sie einen Ältestenrat, den „Beirat“, in dem einflussreiche Männer aller Ethnien vertreten sind. „Die Jungen waren durch den Krieg geprägt, hatten nur gelernt, gewalttätig ihre Konflikte auszutragen, die konn ten wir nicht gebrauchen.“ Die Alten dagegen kennen auch andere Wege. „Wir haben gesagt: ‚Wir sind Deut sche, wir sind fremd bei Euch. Aber wir haben Geld. Und wir werden es nur dort ausgeben, wo Frieden herrscht. Ihr sollt uns dabei beraten.’“

Das Konzept ist einfach, doch um es in die Tat umzu setzen, müssen die Papendiecks ihre bequeme Residenz in der Hauptstadt Bamako verlassen und in die verwüste ten Provinzen des Nordens ziehen, „dahin, wo´s wehtut“. Sie fahren im Schutz von Militärpatroullien durch ein Niemandsland zerstörter Dörfer und landen in der ländlichen Kleinstadt Léré, aus der zwei Drittel der Bewohner geflohen sind. Viele Hütten sind nur noch Ruinen, ihre windschiefen, aus Lehm, Spreu und Kuhmist zusammengekleisterten Mauern haben sich in der Regenzeit aufgelöst.

In der ersten Nacht kriecht Henner Papendieck im Haus des Polizeichefs unter, wo er es nicht lange aushält. „Es war stickig. Moskitoschwärme fielen mich an, in der Ma tratze lauerten Flöhe.“

Entnervt und zerstochen flieht er ins Freie, schließt die Augen und denkt nach. Er erin nert sich an das Deutschland seiner Kindheit, die Nach kriegszeit mit den Ruinen, an den Hunger, die Flücht lingsströme, die Angst vor den Siegern, aber auch den Wiederaufbau und das Wirtschaftswunder. So muss man das machen, so wie die Menschen damals: „Nut zen, was noch da ist, aber auf keinen Fall den Leuten das Heft aus der Hand nehmen. Nicht wir, sondern sie selbst müssen ihr Land aufbauen.“

Die Papendiecks brauchen einen Führer, der zwischen den Stämmen vermitteln, der den Menschen Hoffnung geben und Mut machen kann. Jemanden wie Yehia Ag Mohammed Ali, Abkömmling einer angesehe nen Tuaregsippe. Sohn des Marabut, eines Schriftgelehr ten, Patriarchen, Politikers und Richters zugleich, dem magische Kräfte als Wunderheiler nachgesagt worden sind. Vor seinem Tod hatte er den Marabut-Stab, die Insignie der Tuareg-Macht, noch an Yehia übergeben, obwohl der keineswegs zum Nachfolger prädestiniert schien. Als junger Mann war er aus der hierarchischen Gesellschaft ausgebrochen, hatte in der Hauptstadt Bamako Wirt schaftswissenschaften studiert und als Banker in Togo, Niger und Mali gearbeitet. Und hatte eine Frau vom Stamm der sesshaften, schwarzen Bambara geheiratet. In den Augen seiner Tuareg-Familie ein Makel, für seine Position als Makler zwischen seiner nomadisierenden Sippe und den sesshaften Verwandten seiner Frau noch heute ein unschätzbarer Bonus.

„Dass wir Yehia gefunden haben, ist ein großes Glück für uns“, sagt Henner Papendieck, während sein Geländewagen im schlingernden Slalom zwischen mannshohen Termitenhügeln und Eukalyptusbäumen hindurch rumpelt. Es gibt keine Straßen im Norden, nur wer ortskundig ist, findet von einem Dorf ins andere. Der Wagen klettert über Felsen und Dornengestrüpp, vorbei an alten Männern, die auf Eseln reiten, Kindern, die Schafe hüten, Frauen, die auf dem Kopf Matten aus geflochtenen Palmenblättern zum Markt in Attara tragen.

Wenn Yehia Ag Mohammed Ali verhandelt, sind die Pa pendiecks bestenfalls Zuschauer, wie an diesem Sonntag, zehn Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs. Stunden lang hocken Yehias Gäste unterm Zeltdach und pala vern; Männer in wallenden Gewändern, die Gesichter bis auf einen Spalt um die Augen unter dem Turban ver borgen. Der eng um den Kopf gewickelte Baumwollschal schützt vor dem Sand, der durch das offenen Zelt weht und verbirgt jede Regung, die sich auf den Gesichtern zeigen könnte. Frauen huschen herein, stellen Schüsseln mit Hirse und Lammfleisch in die Mitte des Zelts. Yehia Ag Mohammed Ali, der als einziger sein Gesicht nicht verhüllt hat, mischt mit bloßen Händen die Hirse unter das Lammfleisch und lädt zum Essen ein. Die Männer greifen zu, während er sie aus ruhigen Augen fixiert, den kahl geschorenen Kopf einem Gast entgegen neigt, der ihm ein paar Worte ins Ohr raunt. Ein kurzes Nicken, ein Wink mit der Hand, die einem anderen Gast das Wort erteilt, so springt das Gespräch fast beiläufig von einem zum anderen. Keiner erhebt die Stimme, dennoch registriert jeder jede Geste und Nuance. Es geht um Wasser. Ein Damm wird gebaut, Motor-Wasserpumpen bestellt, ein Stück Wüste überflutet. Wer bekommt die Nutzungsrechte für das Feld? Vier Fünftel der Bevölkerung leben von der Landwirtschaft, zwei Drittel des Landes ist Wüste. Überleben kann nur, wer Zugang zu den spärlichen Wasserressourcen hat. Noch vor wenigen Jahren haben sich die Tua reg und Songhai deswegen bis aufs Blut be kämpft. Jetzt hat Yehia das Heft in der Hand; ernst hört er jedem zu, steuert das Gespräch mit wenigen Worten, bis sich die Minen entspannen und die Männer lachen.

Später sagt Yehia bescheiden: „Ich denke, wir haben eine Lösung gefunden.“ Er bespricht die Anträge mit den Papendiecks. Henner Papendieck weiß, dass seine Arbeit ohne den Vermittler, der alle Sippen und Seilschaften, Winkelzüge und Verwicklungen kennt, keine Chance hätte: „Ich kenne das komplizierte Beziehungsgeflecht der Sippen nicht. Das sind uralte Geschichten, für Euro päer nicht zu durchschauen.“

Natürlich gibt es auch Rückschläge. In Youwarou prote stieren die schwarzen Dorfchefs gegen den Zwang, mit den Tuareg zu kooperieren: „Wir wollen hier keine Rot häute.“ Die Papendiecks fackeln nicht lang, packen den Geldkoffer wieder ein und reisen ab. Ein anderes Mal, beim Versuch, direkt mit den Menschen zu verhan deln, bringt sich Henner Papendieck selbst in Gefahr. „Plötzlich standen Händler vor der Haustür. Sie wollten Geld für den Rückweg in den Norden, und ich sagte gradheraus, sie sollen mich in Ruhe lassen.“ Die Songhai-Männer entfesseln daraufhin einen Aufstand vor sei nem Haus, Passanten kommen hinzu, solidarisieren sich, schimpfen über „Diskriminierung und Ungerechtigkeit“. In seiner Not ruft er ein Mitglied seines Ältestenrats an, der kann den Deutschen befreien.

Die Natur ist eine stete Bedrohung für die Arbeit der Friedensstifter. Zuerst trifft es den Stamm der Bellahs, ehemalige Leibeigene der Tuareg. Henner Papendieck hat es nach der Friedenskonferenz in der Stadt M’Bouna geschafft, vierzigtausend von den Binnenflücht lingen zurück zu holen. Doch am Ufer des Fabuigine-Sees, wo sie sich wieder ansiedeln, bricht die Cholera aus. „Die Kinder starben wie die Fliegen. Erst als wir so schnell wie möglich Medikamente und Lebensmittel her anschafften, konnten wir die Menschen retten.“

Ein Jahr später tritt der Niger über seine Ufer, der See wird nach vielen trockenen Jahren wieder über schwemmt und treibt die Ratten aus ihren Löchern. „Rie sengroße Viecher, die alles fraßen, was sie fanden: Ernte, Lebensmittel, sogar die Kleider der Menschen.“ Eine biblische Plage kommt 2004 über das geschundene Land. Zwei Monate lang ziehen Milliarden Heuschrecken am Fluss entlang. „Der größte Schwarm war 26 Kilome ter lang. Sobald wir das Boot verließen und an Land gingen, krochen sie an uns hoch. Das verfolgt mich noch heute in Alpträumen.“

Wieder holt sich Henner Papendieck Berater, erfahrene Landwirte. „Die Regierung sagte, das bekämpft man mit Gift aus der Luft. Aber bei dem ständigen Wind hätten wir die Menschen und den Fluss vergiftet.“ Deshalb lässt er drei breite Gräben um die Felder ziehen. Im ersten werden die Heuschrecken erschlagen, im zweiten schüt ten die Bauern Benzin über die Plagegeister und zün den sie an. Im dritten Graben macht teures Heu schreckengift den verbliebenen Insekten den Garaus. Die Reisernte ist gerettet, aber er weiß, dass die Weibchen ihre Eier in den Sand gelegt haben und ihr Nachwuchs nach dem ersten Regen im Juli schlüpfen wird. Manchmal wird selbst der Erfolg des Programms zur Bedrohung für die Initiative der Deutschen. In Koumaira und Diré hat Barbara Papendieck mit Frauen aus den Dörfern vier Bewässerungsfelder entlang des Niger an gelegt. Zwei davon sind nur mit dem Boot zu erreichen. „Schon die erste Ernte vor zwei Jahren war fantastisch“, schwärmt Barbara Papendieck. „Sieben Tonnen Reis pro Hektar Land, jede Frau besitzt ein Viertel Hektar. Sie ern teten gemeinsam, lachten und alberten herum, und als ich sie fragte, was sie mit dem Geld anfangen wollten, antworteten sie: Jetzt können wir es uns endlich wieder leisten, unsere Mädchen beschneiden zu lassen.“ Bar bara Papendieck war entsetzt, und wieder waren es Vermittler, die helfen konnten: Frauen aus anderen Dör fern, die das grausame Ritual bereits vor Jahren abge schafft hatten. Die Frauen aus Koumaira ließen sich überzeugen. Nur Oumou, die Beschneiderin, nimmt ihr das bis heute übel: Nie sei ein Mädchen dabei gestorben, beteuert sie, immer habe sie sauber mit dem Messer ein Fingerkuppen breites Stück von der Klitoris abgetrennt, wie sie es der Mutter abgeschaut hat. Jetzt ist sie arbeitslos. Erfolge wie diese überwiegen bei weitem. Henner Papendieck fiel neulich bei einem Gang durch Léré auf, dass viele Lehmhäuser dunkel sind. „Ich sah sie mir genauer an und erkannte: Die sind nass, die sind neu! Da passiert etwas! Das war ein guter Moment.“ Er freut sich, „dass die Menschen besser ernährt sind, dass viele jetzt Schuhe tragen“. Wenn es Arbeit gibt, wenn Häuser gebaut werden, dann sind das Bausteine für den Frieden.

Die Fortschritte lassen sich auch in Zahlen fassen: 25 Schulen, 45 Rathäuser, sieben Gesundheitsstationen, zwei Banken, 13 Tiefbohrbrunnen, Impfkampagnen und 330 Motor-Was serpumpen hat das deutsche Geld im Norden Malis finanziert, 55 Millionen Euro insgesamt. Jede dieser Wasserpumpen macht dreißig Hektar Land fruchtbar und ernährt an die siebenhundert Menschen. Lohn für zehn Jahre Friedensarbeit.

Die Papendiecks verbringen viele Tage im Jahr in der Wüste, übernachten in windigen Zelten, weitab jeder Annehmlichkeiten der Zivilisation. Nach Einbruch der Dunkelheit breitet sich der schönste Sternenhimmel Afri kas über dem Nachtlager, kühle Nachtluft weht und ent schädigt für die Mühe und Hitze des Tages. Wie in der Wüste des „Kleinen Prinzen“, wo es nichts gab als Wind, Sand und Sterne. Dann genehmigt sich Henner Papendieck einen Jack Daniels, ein kleiner Luxus nach dem Staub und Dreck der Reise. Zweimal im Jahr fliegen beide für zwei Monate nach Berlin, besuchen Konzerte in der Philharmonie, gehen ins Kino und Theater. Das ihr Vorrat an Kultur, der muss reichen für den Rest des Jahres.

Was gibt ihnen die Kraft, ihr Leben dafür einzusetzen, diesen fremden Menschen Frieden zu bringen? „Wenn das Wasser aus dem Niger durch die Pumpen in die Felder schießt und danach alles grün ist, geht mir das Herz auf.“ Henner Papendieck lächelt. „Diese Arbeit hier ist der Sinn in meinem Leben.“