Zeitenspiegel Reportagen

Insel der Energiesparer

Erschienen in "natur", 08/12

Von Autorin Uschi Entenmann

Kuba feiert eine neue Revolution: Die Regierung hat Petroleumkochern, stromfressenden Kühlschränken und Glühlampen den Kampf angesagt. Ein Besuch im nachhaltigsten Land der Welt.

In Pedro Pi tanzt der Bär. Osmel Turner, ein schwarzer Berg von Mann, steppt über den Bretterboden der Cafeteria des Dorfs, schwenkt die Pranken im Takt der Combo und rappt seine Botschaft in die Menge: „Tut euch zusammen!“, skandiert er. „Rafft euch auf. Sonst steht uns das Ende der Welt bevor!“

Eine finstere Botschaft, doch die Menschen zu seinen Füßen freuen sich, klatschen, wiegen sich im Rhythmus, und einige singen sogar mit, als der Barde vom Sterben der Fauna und Flora kündet: „Die Wälder sind abgeholzt, die Flüsse versiegen, die Erde verdorrt. Tut euch zusammen. Tut was dagegen.“

Pedro Pí ist nur ein Fliegenschiss auf der Landkarte von Kuba, vierzig Kilometer von Havannas Zentrum entfernt: 650 Menschen leben in Flachdachhäusern zwischen Zuckerohr-, Tabak- und Maisfeldern, in der Mitte eine Bodega mit ihrem bunten Angebot an Reis und Bohnen, Zucker und Kaffee, am Dorfrand eine Fleischfabrik und nahe der Schule die Cafeteria Ranchón, in der Juan Torres unterm Palmdach die besten Piña Coladas der Provinz Mayabeque mixt.

Das wär’ schon alles, was das Kaff Pedro Pí auszeichnet, wenn es da nicht diese Solaranlagen auf den Dächern gäbe, ein Pilotprojekt, das zur Einweihung vor ein paar Monaten sogar den berühmten Rapper Osmel Turner auf den Plan gerufen hat. Der ist mit seiner Combo überall auf der karibischen Sonneninsel zur Stelle, wo es gilt, für die geschändete Umwelt um Hilfe zu schreien. Das Schwergewicht rappt auf Messen, in Schulen oder auf dem Malecón, Havannas vierspuriger Küstenpromenade, wo er die Unsitte anprangert, das Meer als Müllkippe zu nutzen. Oder in Pedro Pí, auf dessen Dächern ein Silberstreif Hoffnung schimmert.

Juan Torres zeigt ihn Besuchern bereitwillig aus der Nähe, es macht keine Umstände, denn neben seinem Job als Cantinero trägt er die Verantwortung für das Pilotprojekt mit seinen dreihundert Kollektoren auf eben so vielen Häusern. So vergeht kaum ein Tag, an dem er nicht eine Leiter schultert und einem Nachbarn aufs Dach steigt, weil in Bad und Küche darunter nur laues Wasser aus dem Hahn fließt. Wer ihm folgt, genießt einen weiten Blick übers Land und auf Dächer, aus denen sich mannsgroße Platiktanks buckeln, davor die schräg gestellten, schwarz glänzenden Absorber, durch die Wasser zirkuliert und sich unter der Sonne erwärmt.

„Mindestens sechzig Grad müsste es haben“, murmelt Juan Torres und führt die Hand über die lauwarme Absorberfläche, tastet sich an der Rohrleitung zum Tank hoch und stellt schließlich fest, dass sein Nachbar vergessen hat, ihn zu füllen. „Darum hast du dich gefälligst selbst zu kümmern“, knurrt er nach dem Abstieg den Mann an, der in der Cafeteria Bier trinkend auf das Ergebnis der Inspektion gewartet hat.

Das segensreiche, simple System hat sich bewährt und soll allen kleinen Kommunen der Insel als Vorbild dienen, trotz der happigen Investitionen, die dafür aufzubringen sind. Umgerechnet 600 Euro kostet eine Anlage, die pro Tag 250 Liter heißes Wasser spendet. Bezahlt wurden die ersten Anlagen von de italiensichen Menschenrechtsorganisation CISP. Juan Torres hält die Gegenrechnung parat: „Solch ein Kollektor spart so viel Strom, dass er sich schon nach einem Jahr amortisiert hat.“

Selbst im Winter genießen jetzt die Dorfbewohner den Luxus, warm duschen zu können. „Manchmal sinkt die Temperatur im Januar und Februar auf fünfzehn Grad über Null“, sagt Juan Torres schaudernd und setzt noch einen drauf: „In Havanna haben nicht mal alle Häuser fließend Wasser, Tankwagen karren es in die Altstadt. Von warmen Duschen können die da nur träumen!“

Seit mehr als sechzig Jahren leidet Kuba unter einer Energiekrise, die mit dem US-Embargo begann und Anfang der neunziger Jahre in eine akute Notlage mündete. Nach der Wende fiel die Hilfe sozialistischer „Bruderstaaten“ wie Sowjetunion und DDR aus, für den Import von Rohstoffen und Öl fehlten Devisen. In der Folge lagen Kraftwerke still, der Verkehr brach zusammen, ebenso die Produktion vieler Fabriken. Stundenlange Stromsperren legten jeden Tag die Fernseher, Ventilatoren und Kühlschränke lahm. Gegen Abend versanken Straßen und Häuser in Dunkelheit.

Inzwischen hellt sich die Situation in Stadt und Land auf. Die Not der vergangenen Jahre, so befahl Fidel Castro schon vor sechs Jahren, soll zu einer Tugend gestaltet werden, die unter dem Namen „Revolución Energética“ firmiert und neben Solarenergie alle denkbaren ökologischen Alternativen einzusetzen hat. Das Schulbeispiel dieser Revolution bildet die Stadt Cárdenas, 105 Kilometer östlich von Havanna. Der visionäre Querkopf hinter dieser Initiative heißt Raimundo Garcia Franco, ist 70 Jahre alt und Prespyterianischer Pastor.

Padre Franco wirkt nicht unbedingt wie ein Kirchenmann, wenn er auf den Cooperativen die Soutane über ein Gatter wirft und sich über die Biogasanlage beugt. „Ich diene Menschen, nicht Institutionen“, sagt er bei solchen Gelegenheiten gern. Und: „Die Kirche sollte nicht nur über den Himmel reden, sondern auch über Exkremente.“ Damit ist er bei seinem Lieblingsthema: Biogas. Unentwegt stapft er seit zwanzig Jahren über Komposthalden, durch Kuh- und Schweineställe. Begutachtet Gülle, die im Verhältnis eins zu vier mit Wasser verdünnt aus Mastbetrieben in unterirdische Kammern fließt, wo Bakterien ihr Zersetzungswerk beginnen. „Schon nach drei bis vier Tagen entsteht Methan, ein hochwertiger Brennstoff “, schwärmt er.

Oft ist er dabei, wenn es gilt, in Kantinen von Schulen, Cooperativen oder Fabriken erstmals den Gashahn aufzudrehen. Mitunter entzündet er feierlich selbst das Streichholz und jubelt, wenn im nächsten Moment eine blaue Stichflamme ins Freie faucht. 250 Biogasanlagen wurden in den vergangenen zwanzig Jahren allein in der Provinz Matanzas gebaut. 2011 hat die Europäische Union entschieden, weitere 250 Anlagen innerhalb der nächsten drei Jahre zu finanzieren. Cárdenas ist Ziel ökologisch engagierter Besucher geworden.

Es gibt auch einfache Lösungen. Das Hauptverkehrsmittel der Küstenstadt war und bleibt das Fahrrad. Es beherrscht als stählernes, auf einem Podest montiertes Denkmal die Einfahrtsstraße, ein Symbol des ökologischen Fortschritts, mit dem die Provinzkommune die Hauptstadt Havanna in vieler Hinsicht überholt hat. Während dort der Busverkehr nach wie vor lahmt, herrscht in Cárdenas reger Verkehr. Der Padre zählt es an den Fingern ab: „Wir haben hunderte Pferdekutschen, die feste Routen fahren und jeweils zwölf Personen fassen. Dazu Ochsenkarren, die Lasten transportieren und schätzungsweise 100.000 Fahrräder, die unsere Einwohner mobil machen.“ Wie weit der liebe Gott bei diesem Wunderwerk auf Castros atheistischer Insel die Hand im Spiel hat, will Padre Franco nicht verraten. Vielleicht, weil er in den sechziger Jahren zwei Jahre interniert war, „zusammen mit Langhaarigen, Homosexuellen und anderen, die der Staat als unsoziales Gesocks betrachtet.“ Heute ist das Verhältnis zwischen Partei und Kirche nicht mehr so zerrüttet wie damals, aber ohne Allianz mit der Kommunistischen Partei lief und läuft nichts auf Kuba. Nun hat der Papst fürs Frühjahr seinen Besuch angekündigt. „Das hilft“, sagt der Padre und lächelt still.

Doch Gottes Beistand allein reicht nicht. Dafür springen Sponsoren aus Europa ein, darunter „KarEn“, ein Berliner Verein zur Förderung alternativer Energien in der Karibik, ebenso die Hilfsorganisation „Brot für die Welt“ und der deutsche Verein „Eurosolar“ unter seinem Präsidenten Hermann Scheer. Dem Träger des alternativen Nobelpreises, der 2010 starb, gebührt das Verdienst, dem ökologischen Umbau der Insel eine dauerhafte Grundlage verschafft zu haben. Schon bei seinem Besuch im Jahr 1994 schlug er Fidel Castro vor, in Havanna eine Schwesterorganisation der Eurosolar zu etablieren. Sie sollte den Kubanern helfen, ihre Technologien und Projekte eigenständig anzugehen. Die Organisation „Cubasolar“ bildet seitdem die Grundlage für den Aufbau der „Revolución Energetica“.
Wer erfahren will, wie sich dieses Aufbauwerk im Einzelnen entwickelt, sollte Antonio Gonzales befragen, der im Auftrag von „Cubaenergia“ unterwegs ist. An diesem Tag steuert er in einem uralten russischen Moskvich nach Pedro Pí, wo ihm Juan Torres eine Führung auf den solarbestückten Dächern des Ortes versprochen hat. „Wir mussten schon früh alternative Energieformen suchen“, erklärt er, während er bei Havanna auf die Autobahn einbiegt, der einzigen, die es auf Kuba gibt. Er erinnert sich noch gut an die Zeit, in der man in den Internatschulen auf dem Land nicht mehr für die Schüler kochen konnte, weil es kaum noch Gas, Strom und Holz gab. „Also bastelten wir einfache, aber hocheffiziente Herde aus Lkw-Bremstrommeln und Ölfässern“, erklärt er. „Für Schulen, denen Viehställe angegliedert waren, bauten wir Biogasanlagen.“ Weil 2.300 Schulen auf dem Land nicht an das nationale Stromnetz angeschlossen sind, stattete sie seine Firma, unterstützt von Eurosolar, vor elf Jahren mit kleinen Photovoltaikanlagen aus. „Der Solarstrom schafft es, einen Fernsehapparat nebst Videorekorder, einen Computer und ein paar Energiesparlampen zu betreiben.“ Gonzales grinst. „Natürlich versammelt sich abends das ganze Dorf vor der Glotze.“

Der nächste Einsatz galt den Praxen der Landärzte, von denen jeder Dritte seinen Strom aus kleinen Dieselaggregaten bezog. Auch sie arbeiten jetzt mit Solarenergie. „Es gibt keine andere Möglichkeit“, davon ist Gonzales überzeugt. „Jedes Kind weiß doch, dass fossiler Brennstoff zu Ende geht und wir den Klimawandel aufhalten müssen!“ Damit sich das bis zu den Kleinsten herumspricht, gehört das Thema Energiesparen schon zum Lehrprogramm von Kindergärten. Auf Wettbewerben setzen es Schüler in Musik- und Theaterstücken um. Die besten Akteure dürfen mit ihren prämierten Aufführungen über Land touren.

Die Umweltorganisation World Wide Fund For Nature (WWF) hat Kuba zum weltweit nachhaltigsten Land erklärt. Aus guten Gründen: Inzwischen haben alle Universitäten des Landes einen Studiengang für erneuerbare Energien eingeführt. Schon vor zehn Jahren hat Kuba herkömmliche Glühlampen aus dem Verkehr gezogen, seitdem sind Energiesparlampen in allen Haushalten, Ämtern und Fabriken Pflicht. Im Zuge einer „Energierevolution“ ordnete Castro 2004 an, alte Haushaltsgeräte gegen Strom sparende Modelle auszutauschen. Innerhalb von zwei Jahren wurden zwei Millionen Kühlschränke entsorgt, dazu eine Million Ventilatoren, 180.000 Klimaanlagen und 260.000 Wasserpumpen. Die Kubaner mussten die neuen, zumeist aus China stammenden Geräte auf Pump kaufen, ob sie wollten oder nicht. Ebenso mussten sie darauf verzichten, mit Petroleum zu kochen, stattdessen wurden 3,5 Millionen Reiskocher und drei Millionen Dampfdruckkocher zu günstigen Preisen auf den Markt geworfen. Auch die häuslichen Stromtarife wurden umgestellt. Haushalte, die weniger als 100 Kilowatt pro Monat verbrauchen, bezahlen nur neun Centavos (100 Centavos = 1 Peso, 24 Pesos = 1 Dollar) pro Kilowatt. Jedes Kilowatt mehr erhöht die Rechnung sprunghaft. Castro sagte damals in einer Fernsehrede: „Wir warten nicht, bis Treibstoff vom Himmel fällt, denn wir haben etwas Wichtigeres entdeckt: Energie sparen.“ Unter die Sparmaßnahmen fiel auch das einzige Atomkraftwerk der Insel: das AKW Juraguá bleibt ein Rohbau.

Heute verbraucht Kuba 34 Prozent weniger Petroleum, 37 Prozent weniger Flüssiggas und 80 Prozent weniger Benzin als vor Castros Öko-Doktrin.. Kubas Pro-Kopf-Energieverbrauch beträgt nur ein Achtel des Verbrauchs eines US-Haushalts.

Ankunft in Pedro Pí, wo Juan Torres zur Begrüßung des Gastes seine unnachahmlichen Piña Coladas serviert. Der Cantiñero ist guter Dinge, begeistert erzählt er von seinem Besuch in der Grundschule, wo er an Hand seines Hausmodells den Kleinen das Prinzip der Solarkollektoren erklärt hat. Das Modell hat er selbst aus gebrauchten Tetrapacks, Bierdosen und Strohhalmen gebastelt, zwanzig mal dreißig Zentimeter groß, mit einer kleinen, schwarzen Wassertonne auf dem Dach, einem Solartank und winzigen, schwarzen Rohren, die an der Außenwand zu den Wohnungen führen. „Den Kindern hat’s gefallen und sie haben kapiert, wie diese Dinger auf dem Dach funktionieren“, berichtet er. „Und ich glaube, sie haben auch begriffen, dass wir zu den Privilegierten gehören, weil uns die Sonne warmes Wasser schenkt.“

Rosendo Expósito Diaz sieht das auch so, ein würdiger Greis, 87 Jahre alt und seit 25 Jahren Bürgersprecher des Orts. Er schiebt seine magere Gestalt auf den Barhocker, bestellt ein Bier und deutet mit dem faltigen Finger auf die Siedlung. „Wir haben viele Versammlungen abgehalten, auf denen ich gesprochen habe“, sagt er. „Haben den Leuten erklärt, dass sie selbst verantwortlich sind für diese neue Technologie. Denn die Kubaner haben sich angewöhnt, wie Küken die Schnäbelchen aufzusperren und zu warten, was die Vogelmutter bringt.“ Jetzt sollten sie sich in die Solaranlagen verlieben, statt Rohre aus dem Ersatzlager zu klauen, um ihren Zaun zu reparieren, sollten regelmäßig Wasser nachfüllen und die Anlage rechtzeitig abbauen, wenn ein Hurricane naht. Mit Arthrose gekrümmten Fingern führt er die Bierflasche an die Lippen. „Ich würde das warme Wasser vermissen.“