Zeitenspiegel Reportagen

Hansel-Mieth-Preis in Fellbach verliehen

21.06.2024

Im Schatten eines Krieges mitten in Europa hat die Reportergemeinschaft Zeitenspiegel am vergangenen Mittwoch ihren jährlichen Hansel-Mieth-Preis verliehen – diesmal zum 26. Mal.

Unter dem Beifall von rund 100 Gästen nahm Christoph Reuter die Auszeichnung für die Reportage „Die letzten Bestatter von Bachmut“ entgegen; Johanna-Maria Fritz, die Fotografin der Geschichte, konnte nicht dabei sein: sie weilt gerade in der Ukraine. Die im Spiegel erschienene Reportage erzählt die Geschichte von sechs Männern und zwei Frauen, Angestellten des städtischen Bestattungsunternehmens, die in der ukrainischen Stadt Bachmut ausharren. In der Frontstadt, Anfang 2023 aufgerieben zwischen russischen Angriffs- und ukrainischen Verteidigungsgefechten, gibt es weder Wasser noch Gas noch Strom. Doch „gestorben wird ja weiterhin“, wie einer der Bestatter lapidar sagt. Und so versuchen die acht, die Toten der sterbenden Stadt zu bergen und zu bestatten.

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Der Preis ist mit 6000 Euro dotiert. Zeitenspiegel vergibt die Auszeichnung für engagierte Reportagen, bei denen Bild und Text gleichermaßen bewertet werden.

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Von der Jury hieß es zur Verleihung an Fritz und Reuter: „Der Tod in der Ukraine ist kein Nischenthema. Die Toten zu identifizieren und die Personalpapiere zu besorgen, um sie in Würde zu beerdigen, ist eine Herkulesaufgabe … Eine Geschichte, die im Kleinen das Beharrungsvermögen der Menschen von Bachmut erzählt, den alltäglichen Wahnsinn der Belagerung.“

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Die Festrede hielt Anette Dowideit, stellvertretende Chefredakteurin der Rechercheredaktion Correctiv. Dieses hatte Anfang Januar über ein Geheimtreffen aus AfD-Anhängern, Finanzinvestoren und Neonazis berichtet, bei dem über die sogenannte „Remigration“ gesprochen wurde. „Als wir an diesem Abend mit der Geschichte fertig waren und gegen Mitternacht das Büro verließen, sagte ich zu meinem Kollegen Justus: Das war soo viel Arbeit, ich bin wirklich erleichtert, dass wir damit fertig sind. Niemals hatten wir uns vorstellen können, was am nächsten Morgen und in den Tagen, Wochen und Monaten danach geschah.“

Dowideit unterstrich, sie erzähle die Genese dieser Recherche nicht, um anzugeben, „sondern um die Macht zu unterstreichen, die traditionelle Medien noch entfalten können. Wie wir alle in den Medien es immer noch schaffen können, eine starke Kraft für die Demokratie zu sein. WENN wir die richtigen Geschichten finden, die wir erzählen können. Geschichten, denen unser Publikum zuhören wird.“ Sie betone das still in diesem Satz, weil es heute alles andere als sicher sei, „dass uns, den Medien, überhaupt noch zugehört wird“. Noch nie sei der Wettbewerb um Aufmerksamkeit so groß wie heute: Die sozialen Medien hätten eine neue Realität geschaffen, in der sich jeder sein eigenes Publikum aufbauen könne - und in der es für den Journalismus immer schwieriger werde, als Autorität anerkannt zu werden, der das Publikum vertrauen kann.

Dowideit nannte drei Empfehlungen für Medien, um in diesen Zeiten zu bestehen. Der erste: „Wir müssen das Publikum dazu bringen, uns zuzuhören und uns zu vertrauen, indem wir IHNEN zuhören. Ich meine: Ihnen WIRKLICH zuhören.“ Der zweite: „Lassen Sie nicht zu, dass Populisten den Diskurs anführen, indem Sie sich auf die Diskussionspunkte einlassen, die SIE versuchen, auf die öffentliche Tagesordnung zu setzen.“ Und drittens: „Verlassen Sie sich nicht zu sehr auf die Künstliche Intelligenz.“

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Die Laudation hielt Cornelia Fuchs, Jury-Mitglied und stellvertretende Chefredakteurin der Zeitschrift stern. Über die Reportage sagte sie, diese erzähle nicht die Geschichte vom Krieg, sondern vom Leben. „Nicht die Geschichte von Gewalt, sondern vom Alltag, von Pflichtbewusstsein, von Notwendigkeiten. Sie erzählt nicht die Geschichte von Krieg, sondern von aufrechten Menschen. Sie lässt diese Menschen so real wirken, dass der Krieg nicht mehr das Hauptthema dieser Reportage ist. Sondern deren Menschlichkeit. Eben diese Menschen, die Tote weiter bestatten wollen, wie es immer schon getan wurde und wie es immer weiter getan werden sollte. Und so wird der Tod zur größten Bestätigung des Lebens in der sterbenden Stadt Bachmut.“

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Fotos: (c) Peter D. Hartung