Zeitenspiegel Reportagen

Die Blasen von Jericho

Erschienen in "zenith", 02/2015

Von Autor Jan Rübel

Ausländische Firmen in israelischen Siedlungen im Westjordanland stehen im Kreuzfeuer internationaler Kritik. Nun packt der umstrittene Sprudelfabrikant Sodastream die Koffer und siedelt in die Negev-Wüste um. Ein Erfolg für die Palästinenser?

Neulich fühlte ich mich ein wenig mies. Wir hatten Freunde zu Besuch, zum Wein servierte ich einen Krug Wasser – da passierte es. »Habt ihr das gesprudelt?«, fragte unser Gast. Etwa mit Sodastream? Und die Stimmung kippte.

Nun hatte ich keine Ahnung von der Herkunft unserer Blasen. Seit Jahren steht in unserer Küche ein Trinkwassersprudler, alle vier Wochen tauschen wir den CO2-Zylinder aus. »Aber die Firma Sodastream produziert in einer jüdischen Siedlung im besetzten Westjordanland. Die ist nach internationalem Recht illegal. Und muss aus ethischen Gründen heraus boykottiert werden«, sagte unser Gast. Ich schluckte. Immerhin bin ich mit im Boot: Die Kartuschenladung Kohlensäure im Supermarkt kostet 5,99 Euro. Die Blasen in einem Glas Wasser bezahle ich also mit rund drei Cent. Wer war diese Firma, die gerade mein Dinner sprengte? Können Arbeitsplätze schlecht sein? Was geht dort vor?

Zum Ort führen biblische Namen. »Maale Adumim, Israel, Region Judäa und Samaria«, nennt das Navigationsgerät des Mietwagens den Ort, an dem Sodastream wirkt. Für die einen ist der Landstrich das besetzte Westjordanland, für andere Judäa und Samaria aus dem Alten Testament. Ein grauer Tunnel, der in Jerusalem beginnt, führt dorthin. Dann öffnet sich ein breiter Highway, der Kleinwagen fliegt binnen weniger Minuten nach Maale Adumim; insgesamt sind es nur 16 Kilometer von unserem Hotel bis zu der Siedlung. Die schimmernden Felsen geben dem 38.000-Einwohner-Ort seinen Namen: »roter Anstieg«. Kaminrot auch die Giebeldächer der Häuser in sanften Vanillefarben an der Hauptstraße Derekh Kedem, einem Strandboulevard ohne Strand. Eine Stadt, die schon von weitem strahlt.

Dagegen taucht Maale Adumim in Sodastreams Jahresbericht an die US-Börsenaufsicht vom Mai 2014 eher versteckt auf, als einer von vielen Standorten des bei der New Yorker Nasdaq gelisteten Unternehmens. Die meisten ihrer Produktionsstätten seien in Israel, »eine davon in umstrittenem Gebiet, manchmal Westbank genannt«. Erst auf Seite 21 erfährt der Leser, dass diese Fabrik zweieinhalb Mal so groß wie alle in Israel zusammen ist. Allein der deutsche Markt hat im Jahr 2013 rund 5,5 Millionen Kartuschenladungen von Sodastream ins Leitungswasser gedrückt – das entspricht 300 Millionen Litern Sprudel. Wer sprudeln will, kommt kaum an Sodastream vorbei, die Firma ist einsamer Weltmarktführer.

Das Land rings um die Siedlung ist karg, Maale Adumim dagegen säumen Grasflächen und Palmen. Alles erscheint wohlgeordnet, viele Häuser mit Fenstern bis zum Fußboden ziert ein Zaun. Es riecht nach Thymian und Jasmin. Die Siedlung erscheint wie der Garten Eden in Festungsversion. Den Hang herab, keine 200 Meter entfernt, erschließt sich eine andere Welt: Wellblechhütten von Beduinen neben einem Abwasserrohr. Oben zwitschern Vögel, von unten dringt ein Eselsschrei herauf.

An der Südflanke der Siedlung öffnet die Sodastream-Fabrik ihre Pforten. Ende 2015 soll sie schließen und in die Negev-Wüste im Süden Israels umziehen. Die Firmenleitung sagt: um die Produktionsabläufe woanders zu konzentrieren. Die Boykottbewegung gegen Siedlungsprodukte sagt: um internationalem Druck auszuweichen. In großen Hallen stehen sie in blauen Firmenshirts an Laufbändern – Frauen und Männer, Juden und Palästinenser. Geschäftig wirken sie, vertieft. Und doch entspannt. 4.000 Automaten produzieren sie hier täglich. An einer Werkbank am Rande der Produktionshalle 1 sitzen zehn Beduinen aus dem Negev – sie werden gerade in ihren neuen Job eingeführt. Falls der Standort hier tatsächlich schließt, werden Beduinen in der neuen Fabrik in Lehavim im Negev die Arbeiten fortführen; sie leben dort in der Nähe.

Wir können uns frei bewegen, niemand sieht uns über die Schulter, wir können jeden ansprechen. »Wir haben obligatorische Zwölf-Stunden-Schichten, das ist zwar anstrengend«, sagt Muhammad aus Ramallah, er packt gerade Flaschen in Pappkartons. »Aber ich mache sie gern. So verdiene ich mehr Geld. Nach acht Stunden steigt der Arbeitslohn um die Hälfte.« Hanan, eine Mittzwanzigerin aus dem palästinensischen Dorf Eizariya, lobt das Klima, die flachen Hierarchien und Aufstiegschancen. »Wir kommen hier alle miteinander aus.« Die meisten Befragten geben an, seit über einem Jahr hier zu arbeiten. Über Politik indes will niemand reden. »Ich bin zufrieden hier«, heißt es dann, »lassen wir das draußen«. Einer sagt: »Ich fahre jeden Tag von Hebron 35 Kilometer mit dem Bus zur Fabrik. Zur neuen in Lehavim wären es 50 Kilometer. Natürlich würde ich das machen.« Wer den Angestellten in den Hallen zusieht, wie sie einträchtig schrauben und pressen, sieht nichts Schlechtes darin. Passt dieses Bild zu dem, was außerhalb geschieht? Bei der Suche nach dem Rathaus von Maale Adumim hilft Scharon, er schubst gerade seine schaukelnde Tochter auf einem Spielplatz an. »Wir leben hier seit fünf Jahren, wegen der Kinder«, sagt er. »Die Mieten sind günstiger als in Jerusalem, es gibt gute Kitas und Schulen.« Denkt er, dies sei besetztes Gebiet? »Nein, das ist keine Siedlung. Wir sind hier nicht aus politischen oder religiösen Gründen.« Und wie verhält es sich mit den palästinensischen Nachbarn da draußen? »Ich kann nicht dorthin. Wenn sie sich vom Terror lossagen würden, könnten sie leben wie wir. Aber das wollen sie nicht, daher haben wir nichts mit ihnen zu tun.« Scharon, 34, Armeeoffizier, schüttelt den Kopf. »Wenn die Palästinenser dagegen zu uns nach Maale Adumim kommen, sind sie ohne Furcht. Wir sind menschlicher.« 3.500 palästinensische Familien ernährt Maale Adumim; allein 500 Palästinenser aus dem gesamten Westjordanland arbeiten bei Sodastream. Sharon trägt seine Tochter nach Hause. Heute Abend ist er noch auf ein Bier mit Freunden verabredet, in Jerusalem. In Maale Adumim gibt es eine einzige Bar, und die steht meist leer.

Benny Kashriel steht am Fenster seines Büros im Dachgeschoss des Rathauses und zeigt hinaus. »Sehen Sie diese Hügel?«, fragt er. »Dort war nur Wüste, als wir kamen. Bis heute gibt es hier keine Landwirtschaft. Nichts.« Seit über 25 Jahren ist Benny Kashriel Bürgermeister von Maale Adumim, er gehört zu den Siedlern der ersten Generation. Die Siedlung wurde 1976 gegründet – als Folge des Sechstagekriegs von 1967 und der Besetzung des Westjordanlands. Das Industriegebiet Mishor Adumim sollte der wirtschaftlichen Entwicklung Jerusalems dienen, Maale Adumim fungierte anfangs als »Arbeiterlager« Mishors. Vorsorglich konfiszierten die israelischen Behörden das Siebenfache dessen, was die Arbeiterwohnungen an Boden verlangten. Nur 0,5 Prozent dieser Fläche galt als palästinensischer Privatbesitz, der Rest als »Staatsland«, noch aus osmanischer Zeit. Seitdem wächst die Siedlung kontinuierlich an Jerusalem heran. »Unser natürliches Wachstum entspricht 600 bis 700 Einwohnern im Jahr«, sagt Benny Kashriel. »Aber wegen des Drucks aus Europa und den USA dürfen wir nur 90 Wohnungen im Jahr bauen.« Er klingt bitter und ruhig zugleich.

Bis zum Sechstagekrieg hatte Jordanien das Areal annektiert und die palästinensischen Bemühungen, einen eigenen Staat zu etablieren, gemeinsam mit dem 1948 gegründeten Israel zunichte gemacht. Nach internationalem Recht ist ein Besatzer ein Treuhänder und darf keine permanenten Fakten schaffen. Auch Staatsland ist zu schützen. Im Falle Maale Adumims begründete ein interministerielles Komitee Israels die Konfiszierungen damit, dass sie öffentlichen Zwecken dienten, sodass ein Nutzen für Juden und Palästinenser entstehe. Kontakt zu seinen Amtskollegen auf palästinensischer Seite hat Benny Kashriel nicht. »Wir schlugen ihnen eine Kooperation vor und sagten: Lassen wir die Politik beiseite. Aber sie haben zu viel Angst vor der Hamas und der Palästinenserregierung in Ramallah.« Spricht der Bürgermeister von der Zukunft, gerät er ins Schwärmen. »Wir könnten binationale Industriegebiete und gemeinsame Tourismusprojekte initiieren.« Auf besetztem Gebiet? »Quatsch. Es gehörte nicht den Palästinensern, nicht vor dem Sechstagekrieg und auch nicht 10.000 Jahre davor. Es gehörte Jordanien und davor der jüdischen Nation und König David.« Es ist ein Blick in die Vergangenheit mit großen Löchern, aber Benny Kashriel ist kein Historiker, er ist Siedler, der Geschichte macht.

Die anderen in dieser Geschichte sind gleich nebenan. Vom Sockel Maale Adumims aus führt eine Asphaltstraße nach Eizariya, vorbei an einem israelischen Polizeipanzer. Der 18.000-Einwohner-Ort liegt ein paar Steinwürfe entfernt. Am anderen Ende dieser einzigen Zufahrtstraße quer durch Eizarya steht die Mauer, der acht Meter hohe Stahlbeton trennt Israel vom Westjordanland. Am Ortseingang quillt dichter schwarzer Rauch auf. Vermummte Jugendliche haben Autoreifen auf die Straße gezogen und angezündet, in den Händen Steine, die sie aus Israels »Sperranlage« gebrochen haben. Sie warten auf israelische Polizei, die nicht kommen wird. Die Palästinenser blockieren sich selbst. Ein stummer Protest, wie ein Ritual. Ohnmächtig. Nur die Obsthändler räumen fluchend ihre Kisten von der Straße; der Gestank nimmt zu.

Einen Kilometer weiter im Ortskern sitzen Männer vor der Murabitun-Moschee, durch ihre Hände gleiten langsam Perlenketten. »Wer bei Sodastream arbeitet, hat das große Los gezogen«, sagt Muhammad Saad. Offiziell beträgt die Arbeitslosenquote im Westjordanland 19 Prozent, sie wird höher sein. »Keiner mag die Siedlung, aber jeder muss zuerst an seine Familie denken.« Muhammad Saad trägt seinen fein gestutzten Oberlippenbart in dunklem Grau stolz. Ein kräftiger, drahtiger Mittfünfziger, der nun träge im Schatten der Mittagshitze sitzt. Hat die Führung der Palästinenser nicht zum Boykott der Siedlungen aufgerufen? »Ach, dann soll Mahmud Abbas uns Arbeit geben!« Doch der Präsident aus Ramallah scheint weit weg. »Sollte Sodastream tatsächlich schließen, wäre das schlecht für Dutzende Familien hier.«

In einer Studie der Ostjerusalemer Quds-Universität aus dem Jahr 2011 geben 82 Prozent der in Siedlungen beschäftigten Palästinenser an, sie würden ihre Arbeit aufgeben, fänden sie eine angemessene Alternative. Für einen Siedlungsjob braucht es eine Arbeitsgenehmigung des israelischen Inlandgeheimdiensts Schabak. »Tausend Leute hier in Eizariya haben die. Meine Söhne nicht, sie haben während der Zweiten Intifada vor zehn Jahren Steine geworfen. Macht sie das zu schlechteren Arbeitern?«, fragt Muhammad Saad.

Nach Angaben der israelischen Organisation »Who profits« sind 93 Prozent der palästinensischen Arbeiter in den Siedlungen nicht gewerkschaftlich organisiert. Die meisten scheuen jedes politische Engagement – es könnte zum Entzug der Lizenz führen. Muhammad Saad ist in seiner fünfköpfigen Familie Alleinverdiener, er arbeitet in einem Wachdienst, »eine Zukunftsbranche«. Israel duldet keine lokale Polizei in Eizariya, beschränkt sich selbst aber auf die Kontrolle der Zugänge. »Die Kriminalität steigt. Wer kann, engagiert für seinen Besitz privaten Sicherheitsservice.«

Rund um die Moschee wächst Beton in die Höhe. Jedes zweite Gebäude eine Baustelle, dem ein weiteres Stockwerk aufgestülpt wird. Als Israel das Westjordanland 1967 besetzte, verlor Eizariya durch Annexionen 61 Prozent seines Landes aus Mandatszeiten. Baugenehmigungen erteilen die israelischen Behörden kaum, eine Erweiterung der Stadtgrenzen ist verboten. Seitdem expandiert die Stadt vertikal. Anders das Industriegebiet Mishor Adumim gegenüber. »Der Park hat die größten Bodenreserven in der Region von Jerusalem«, steht auf seiner Website. »Land steht zu attraktiven Preisen zur Verfügung.« Es winkten niedrige Gemeindesteuern, Darlehen und ein Erlass der Unternehmensteuer für die ersten zwei Jahre.

Die Straße führt direkt auf die Mauer zu, der Beton ist unten durch Feuerruß geschwärzt. Davor Müllhaufen. Eizariya ist eine Stadt, in der vieles nicht passt. Jerusalem ist ganz nah und dennoch fern; der historische, kulturelle und wirtschaftliche Bezugspunkt der Menschen hier erscheint wie eine Silhouette an Firmament. Drinnen drängt sich alles, draußen so viel Unerreichbares wie Siedlungen, militärisches Sperrgebiet, Straßen. Auf dieser Höhe ist das Westjordanland zwischen Jerusalem und Totem Meer am schmalsten. Allein Maale Adumim schiebt sich dazwischen, teilt das Land des künftigen palästinensischen Staats in zwei bis auf wenige Kilometer voneinander getrennte Blöcke. Geostrategisch gesehen ist Maale Adumim kein unbedeutender Ort.

Die Mauer immer in Sichtweite, führt die Straße gen Süden die Hügel hinauf, nach fünf Kilometern zu den ersten Ausläufern von Sawahariya-Ost. Im modernsten und weißesten Haus des 8.500-Einwohner-Dorfs sitzt ein Mann hinter mächtigem Holz. Auf dem Schreibtisch steht einsam ein Telefon. Mit ihm versucht Junis Gafar zu regieren, was kaum zusammenzuhalten ist. »Fragt herum, jemand muss etwas gesehen haben«, knurrt er in den Hörer. Vergangene Nacht haben Unbekannte zwei Sonnenkollektoren stibitzt, die für die Straßenbeleuchtung sorgen. Junis Gafar, Vorsitzender des Lokalrats und Vertreter der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), ist ein Bürgermeister ohne Polizei, ohne Apparat und mit natürlicher Autorität. Er trägt wie sein Amtskollege Benny Kashriel buschiges gescheiteltes Haar, aber dazu einen kräftigen Schnurbart, der wackelt. »Nur die israelische Polizei darf zum Tatort. Und die lässt sich Zeit.« Das Westjordanland ist in drei Regionen aufgeteilt: In den Städten (Region A) hat die PA die Zuständigkeit für Verwaltung und Sicherheit, in den ländlichen Gebieten (Region B) regelt sie das öffentliche Leben unter Sicherheitskontrolle Israels, und in der Region C, mit rund 62 Prozent des Westjordanlands der Löwenanteil, hat Israels Militär gänzliche Kompetenz. Das Stadtgebiet von Sawahariya-Ost gilt als A, ringsum ist B und C; die Sonnenkollektoren standen in B.

Neben Gafars Schreibtisch hängen an der Wand Porträts von Yassir Arafat und Mahmud Abbas, dem verstorbenen und dem amtierenden Präsidenten der PA. Das Haus des Lokalrats wurde mit Hilfe der Deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) errichtet. Die Siedlungen, sagt Gafar, seien nicht das Problem, sondern »das Drumherum, die Politik«. Hat der Bürgermeister Kontakt zu seinem Amtskollegen Benny Kashriel in Maale Adumim? Der Palästinenser schüttelt den Kopf. »Das lehne ich ab. Damit würde ich nur die Besatzung legitimieren.« Aber so viele seiner Bürger haben doch Jobs in der Siedlung. »Wir wollen zuerst unsere Freiheit und unsere Würde.« Bringt Schweigen irgendetwas?

Junis Gafar steht auf. Er zeigt aus dem Fenster. »Dort ist Sawahariya-West, uns trennt die Mauer. Mein Bruder wohnt drüben, ich bräuchte keine drei Minuten mit dem Auto zu ihm. Stattdessen muss ich über Eizariya, Maale Adumim und Zayyim fahren – mindestens eine Stunde lang. Warum sollte ich bei Benny Kashriel vorbeischauen?« Er holt aus einer Schublade im Schreibtisch einen Stoß Papierkopien, den Bericht der Weltbank vom Oktober 2013 über die Region C. »Wie das Gebiet derzeit verwaltet wird«, steht dort, »schließt es palästinensische Unternehmer von Investitionen dort aus.« Würden alle Restriktionen fallen – Baugenehmigungen, Zugänge, Güterimport und Landwirtschaft – , würden die sich entfaltenden Aktivitäten in der Region C jährlich 3,4 Milliarden US-Dollar generieren. Das entspreche 35 Prozent des Bruttoinlandprodukts der PA. »Das brauchen wir«, sagt Junis Gafar, »unser Land«. Wem hat dieses Land eigentlich früher genau gehört? »Fragen Sie nach bei den Leuten in Silwan, die haben das Gebiet bis 1967 verwaltet.«

Während der Fahrt dorthin fällt plötzlich noch in Sawahariya eine Halle auf – die größte des Dorfs. Eine Zementfabrik, alles steht still. Aus einem Schatten löst sich ein Mann. »Wir haben seit einem halben Jahr geschlossen«, sagt Fuad Safi, ein kräftiger Mann mit magerem Schäferhund an der Seite. »15 Mann arbeiteten hier, ich bin zum Wachdienst abkommandiert.« Was ist geschehen? Der 27-Jährige weist mit dem Arm auf einen Checkpoint der israelischen Armee, keinen Kilometer entfernt. »Wir konnten immer öfter den Zement nicht pünktlich ausliefern, wir kamen durch die Kontrollen nicht durch. Auf dem Zeug blieben wir sitzen.« Zudem habe die PA die zu erwartenden Steuereinnahmen zu hoch eingeschätzt – da habe der Boss den Laden geschlossen. Und warte auf bessere Zeiten.

In Silwan, einer belebten Nachbarschaft unweit der alten Stadtmauer Jerusalems, gibt ein Kaffeeverkäufer den entscheidenden Tipp: »Geht zum Bürgermeister in der zweiten Querstraße.« Der sitzt hinterm Tresen seines kleinen Krämerladens und döst. »Die Eigentümer der Ländereien im Osten? Darüber weiß Abu Mahmud al-Abasi Bescheid.« Im Kiez Ras al-Amud kennt jeder seinen Namen, nach einer Viertelstunde klopfen wir an eine Holztür im ersten Stock eines Neubaus. Die Tochter öffnet und bittet herein. Abu Mahmud al-Abasi betritt nach einigen Minuten das Wohnzimmer, der Neunzigjährige hatte geschlafen. Sein feines Lächeln spiegelt sich in den Fotoporträts seines Vaters und seines Onkels an der Wand, wie er allesamt Bürgermeister Silwans und Verwalter der Ländereien östlich von Jerusalem.

»Die Gegend des heutigen Maale Adumim?«, sagt er. »Darum haben wir vergeblich gekämpft.« Ja, das sei Staatsland gewesen. »Aber auch Gemeinschaftseigentum.« Gleich neben der Eingangstür stapeln sich acht schwarze Pappschachteln. Aus einer zieht er alte Karten und Dokumente. »Hier«, sagt er und zeigt auf eine Karte mit vielen kleinen Parzellierungen aus dem Jahr 1945, darauf jeweils ein Name eingetragen. »Wir Bürgermeister registrierten und verwalteten für die britische Mandatsherrschaft die Pachtzahlungen der Landwirtschaftsbetriebe.« Nach 1948, als das Gebiet nach dem Unabhängigkeitskrieg Israels an Jordanien fiel, habe man die Akten für Amman weitergeführt. »Die Gegend ist nicht sehr fruchtbar, aber Sesam und Gerste wuchsen gut.«

Gemeinschaftsland – seit Jahrhunderten beackerten Bewohner des Osmanischen Reiches auf diese Weise große Gefilde. Als Israel das Land für Maale Adumim konfiszierte, gab es keine Privatperson, die vor Gericht ziehen konnte. Ein Dorf konnte schlecht als Kläger auftreten. »Nach dem Krieg von 1967 wurde das Gebiet zur militärischen Sperrzone erklärt. »Wir durften nicht mehr hin, die Felder erstarben. Dann kamen die Bagger.« Rund um Maale Adumim wohnen in jedem Dorf Palästinenser, die bei Sodastream arbeiten. Was in der Fabrik so einfach gelang, erweist sich draußen als fast unmöglich: Mehrere Versuche scheitern, mit ihnen über ihren Job zu reden. Die Firmenleitung habe ihnen verboten, mit Journalisten zu sprechen, heißt es. Einer will doch. In einem Eiscafé zu später Stunde trinkt er eine Zitronenlimonade mit frischer Minze. »Lohn und Versicherungsleistungen sind gut«, sagt er, »wir erhalten das Dreifache dessen, was wir in einem palästinensischen Betrieb beziehen würden.« Was ihn indes störe, sei ein Klima der Angst. »Wer sich politisch äußert, fliegt. Unsere Verträge bezeichnen uns als ausländische Arbeitskräfte, das verschafft uns weniger Rechte.« Zu schaffen machten ihm die Zwölf-Stunden-Schichten, eine Woche tagsüber, die andere nachtsüber. »Aber das ist bald vorbei. 50 Prozent der Arbeiter werden nach einem Jahr gekündigt, damit sie keinen Jobanspruch erhalten. Ich bin jetzt bei neun Monaten, das Jahr mache ich voll und habe dann Geld für die Zeit danach.«

Und wie sieht die Geschäftsführung von Sodastream die Unfreiheiten ihrer Nachbarn, wie sieht sie sich in diesem politischen Umfeld? Möglichkeiten zur Reaktion gäbe es viele – ein runder Tisch etwa, der Israelis und Palästinenser zusammenbringt und Forderungen an die Regierung in Jerusalem formuliert. Daniel Birnbaum lächelt müde über diesen Vorschlag. »Ein runder Tisch, den Bürgermeister von Eizariya anrufen? Ich könnte das tun. Und Sie könnten mich auch fragen, warum ich nicht dieses und jenes tue. Das hat kein Ende. Ich habe einen Job zu erledigen.«

Daniel Birnbaum sitzt im Experimentierraum der Sodastream-Zentrale in Tel Aviv. Hier werden neue Sirups ausgetüftelt, die gesprudeltes Wasser in Limonade verwandeln. Der CEO trägt sein weißes Hemd offen und hochgekrempelt, mehr Kumpel als Manager. Der 52-Jährige sieht sich als einer, der Frieden macht. »Als ich hier vor sieben Jahren anfing, stellte ich die ersten Palästinenser ein. Das war damals sehr kontrovers.« Damals war er von Nike gekommen, hatte die Marke in Israel zum Marktführer der Sportartikelindustrie geführt. Als Sodastream sich in den 1990er Jahren in Maale Adumim niederließ, lockten niedrige Mieten und Subventionen. Heute versteht sich Daniel Birnbaum als eine Art Schutzherr seiner palästinensischen Mitarbeiter. »Ich kämpfe für meine Arbeiter, ich behandle sie wie Brüder.« Einmal lud er sie ein zu einem Busausflug, fuhr mit ihnen ans Mittelmeer – das viele der Palästinenser noch nie gesehen hatten. Als er eine Auszeichnung als Exporteur des Jahres entgegen nahm, kam er mit einer Delegation palästinensischer Angestellter zum israelischen Präsidentenpalast; und protestierte lauthals, als diese sich zur Kontrolle ausziehen mussten.

Und vielleicht liegt da ein Problem. Wenn Daniel Birnbaum über »seine« Palästinenser redet, schwingt Paternalismus mit. »Ich las heute auf Facebook den Post eines meiner Arbeiter: ›Tod für Israel.‹ Nun war er ein Arbeiter. Ich habe ihm gekündigt.« Und er würde das gleiche tun, verbreitete ein Israeli Ähnliches. Politische Aktivitäten? »Müssen draußen bleiben.« Die Geschichte der Siedlungsregion? »Niemand lebte dort seit dem Königreich Davids.« Landwirtschaft dort? »Absoluter Bullshit.« Die Palästinenser? »Eine Nation jüngeren Jahrgangs, vor 50 Jahren existierten sie nicht.« Die Warteschlangen vor den Checkpoints? »Wir haben auch Trucks, die alle möglichen Checkpoints passieren müssen. Meine warten auch.«

Seine Sätze erinnern, etwas lässiger behangen, an die des Bürgermeisters von Maale Adumim. Die Hierarchie steht. Er sagt: »Warum glauben Sie, dass dies eine Okkupation ist? Juden lebten dort vor 2.000 Jahren.«

Wir steuern im Gespräch einen toten Punkt an, im Bauch das Gefühl: Die Dinge sind nicht so, wie sie sein sollten. Und Alternativen scheinen weit weg. Sätze schwirren im Kopf umher, »Die Siedlungen sind nicht das Problem« von Sawahariyas Bürgermeister Junis Gafar, »Stößt du heute Abend noch auf ein Bier hinzu?« von Scharon, »Wir durften nicht mehr hin« von Abu Mahmud al-Abasi. Die Fabrik erscheint wie eine vertane Chance. So wenig Empathie. So viel Neben- statt Miteinander. Aber das Jahr ist ja noch nicht um. Daniel Birnbaum greift zu einem Glas Wasser vor sich auf der gläsernen Tischplatte, trinkt aus und geht hinaus.